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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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blind, doch er traf sein Ziel. Die Schwertspitze traf Ottos Brust. William stieß noch einmal nach, und die Klinge glitt zwischen die Rippen des Mannes. Ottos Griff um das Beil lockerte sich, und sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, den William nur allzu gut kannte: Der Blick verriet Überraschung, der Mund öffnete sich wie zum Schrei, gab jedoch keinen Ton von sich, und die Haut färbte sich plötzlich grau – der Anblick eines tödlich verwundeten Mannes. Um ganz sicherzugehen, stieß William die Klinge noch tiefer hinein, bevor er sie wieder herauszog. Ottos Augen rollten in ihren Höhlen nach oben, auf der Vorderseite seines Hemdes erschien ein roter, schnell größer werdender Fleck, und er stürzte zu Boden.
    William drehte sich sofort um und ließ seinen Blick über den Schauplatz schweifen. Er sah zwei Steinklopfer davonrennen; wahrscheinlich hatten sie mit angesehen, wie ihr Anführer getötet wurde. Im Davonlaufen riefen sie den anderen etwas zu. Aus dem Kampf war ein Rückzug geworden. Die Ritter setzten den Flüchtenden nach. William stand schwer atmend und unbeweglich da. Diese verdammten Steinbrecher hatten sich zur Wehr gesetzt! Er sah auf Gilbert hinab, der mit geschlossenen Augen bewegungslos in einer Blutlache lag. William legte ihm die Hand auf die Brust: kein Herzschlag. Gilbert war tot.
    William streifte durch das Gelände zwischen den noch immer brennenden Häusern und zählte die Leichen. Drei Steinklopfer waren tot, dazu eine Frau mit Kind, die beide aussahen, als wären sie von Pferden zu Tode getrampelt worden. Drei von Williams Kriegern waren verwundet, vier Pferde verletzt oder tot.
    Nach dieser Bestandsaufnahme trat er neben den toten Leib seines Schlachtrosses. Dieses Pferd war ihm lieber gewesen als die meisten Menschen. Gewöhnlich fühlte er sich nach einer Schlacht aufgekratzt, doch jetzt war er niedergeschlagen. Das reinste Schlachthaus! Was als simple Operation zur Vertreibung von ein paar hilflosen Arbeitern begonnen, hatte sich in eine hitzige Schlacht mit hohen Verlusten verwandelt.
    Die Ritter jagten die Steinklopfer bis an den Waldrand, kamen mit ihren Pferden nicht weiter und kehrten zurück. Walter ritt auf William zu und sah, dass Gilbert tot dalag. Er bekreuzigte sich und sagte: »Gilbert hat mehr Männer getötet als ich.«
    »Seinesgleichen gibt’s nicht viele, und ich kann es mir nicht leisten, auch nur einen davon wegen eines Scharmützels mit einem verfluchten Mönch zu verlieren«, sagte William grimmig. »Von den Pferden ganz zu schweigen.«
    »Die reinste Schweinerei«, meinte Walter. »Diese paar Leute haben uns eine heftigere Schlacht geliefert als die Rebellen Roberts von Gloucester.«
    William schüttelte angewidert den Kopf. »Ich verstehe das nicht«, sagte er und ließ seinen Blick über die Toten schweifen. »Wofür, zum Teufel, glaubten die eigentlich, kämpfen zu müssen?«

Kapitel IX
    Kurz nach Tagesanbruch, da sich die meisten Brüder in der Krypta zur Prim versammelten, hielten sich nur noch zwei Menschen im Dormitorium auf: Johnny Eightpence, der den Boden kehrte, an einem Ende des lang gestreckten Raumes, am anderen Ende Jonathan, der Schule spielte.
    Prior Philip verweilte einen Moment lang in der Türöffnung und sah dem Jungen zu. Jonathan war mittlerweile knapp fünf Jahre alt, ein aufgeweckter, selbstbewusster Knabe, dessen kindlicher Ernst ihm alle Herzen zufliegen ließ. Johnny kleidete ihn nach wie vor in Miniatur-Mönchskutten. Heute spielte Jonathan Novizenmeister und unterrichtete eine nur in seiner Einbildung bestehende Schülerschar. »Das ist falsch, Godfrey!«, sagte er streng zu der leeren Bank. »Wenn du deine Berven nicht lernst, gehst du heute ohne Abendessen aus!« Er meinte Verben . Philip lächelte gerührt. Einen eigenen Sohn hätte er nicht mehr lieben können. Einzig Jonathan machte ihm in seinem Leben nichts als Freude, reine, unverdorbene Freude.
    Das Kind konnte im ganzen Kloster frei herumlaufen wie ein junger Hund und wurde von allen Mönchen verhätschelt und verwöhnt. Die meisten betrachteten ihn als eine Art Schoßkind, als amüsantes Spielzeug, doch Philip und Johnny bedeutete er mehr als das. Johnny liebte den Jungen wie eine Mutter, und Philip fühlte sich wie sein Vater, obwohl er es zu verbergen suchte. Philip selbst war von frühester Kindheit an von einem gütigen Abt aufgezogen worden, und nichts schien ihm natürlicher, als Jonathan gegenüber die gleiche Rolle einzunehmen. Statt ihn, wie die anderen

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