Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
dunkelhäutigen Otto Blackface, der von Anfang an das Kommando über den Steinbruch geführt hatte; Ottos stattlichen Sohn Mark und dessen Frau Alwen, die abends auf den Schafsglocken zu spielen pflegte, und die kleine Norma, Ottos siebenjährige Enkelin, sein Ein und Alles. Gutherzige, gottesfürchtige und fleißige Menschen, die ein Recht darauf hatten, von ihrem Herrn Frieden und Gerechtigkeit zu erwarten. William hatte sie hingemetzelt wie ein Fuchs, der Hühner reißt. Das hätte selbst die Engel im Himmel zum Weinen gebracht.
Philip hatte um sie getrauert und sich dann nach Shiring begeben, um Gerechtigkeit zu fordern. Der Vogt hatte sich glattweg geweigert, auch nur einen Finger zu rühren. »Lord William verfügt über eine kleine Armee – wie soll ich ihn da wohl verhaften?«, hatte Eustace gesagt. »Der König braucht Ritter für seinen Kampf gegen Mathilde – was würde er wohl sagen, würfe ich einen seiner besten Mannen in den Kerker? Wenn ich Mordanklage gegen William erhebe, werde ich entweder auf der Stelle von seinen Rittern getötet oder später von König Stephan als Verräter aufgeknüpft.«
Philip ging auf, dass die Gerechtigkeit in einem Erbfolgekrieg zu den ersten Todesopfern zählt.
Dann teilte der Vogt ihm mit, dass William offiziell Beschwerde gegen den Markt in Kingsbridge geführt hatte.
Es war natürlich absurd, dass William ungestraft morden konnte und gleichzeitig wegen einer reinen Formalität Anklage gegen Philip erhob; dennoch fühlte sich Philip hilflos. Es stimmte, dass er für den Markt keine Genehmigung hatte und genau genommen im Unrecht war. Das Unrecht musste beseitigt werden. Er war der Prior von Kingsbridge, er hatte nichts als seine moralische Autorität in die Waagschale zu werfen. William konnte auf ein ganzes Heer von Rittern zurückgreifen, Bischof Waleran seine Verbindungen an höchster Stelle spielen lassen, der Vogt sich auf seine königliche Vollmacht berufen – er, Philip, konnte nur Recht von Unrecht scheiden, und wenn er sich dieses Standpunkts begab, stand er wahrhaftig verlassen da. Also hatte er angeordnet, den Markt einzustellen.
Diese Entscheidung versetzte ihn in eine verzweifelte Lage.
Die Finanzen der Priorei hatten sich einerseits dank strengerer Kontrolle, andererseits dank stetig steigender Einkünfte aus dem Markt und der Schafzucht erheblich verbessert; aber Philip verwandte jeden Penny auf den Bau der Kathedrale und hatte sich bei den Juden in Winchester mit einer hohen Summe verschuldet, die noch zurückgezahlt werden musste. Und nun verlor er auf einen Schlag nicht nur den Nachschub an kostenlosen Steinen, sondern auch die Einkünfte aus dem Markt – und möglicherweise sogar die freiwilligen Hilfskräfte, von denen viele hauptsächlich wegen des Marktes gekommen waren und künftig wohl ausblieben.
Er würde die Hälfte der Bauleute entlassen müssen und konnte die Hoffnung, den Dombau noch zu seinen Lebzeiten zu vollenden, in den Wind schreiben. Dazu war er nicht bereit.
Er fragte sich, ob ihn die Schuld an dieser Krise traf. War er allzu zuversichtlich, allzu ehrgeizig gewesen? Eustace, der Vogt, hatte sich jedenfalls so ausgedrückt. »Ihr zieht Euch viel zu große Stiefel an, Philip«, hatte er verärgert gesagt. »Ihr steht einem unbedeutenden Kloster vor und seid bloß ein unbedeutender Abt, aber Ihr bildet Euch ein, dem Bischof, dem Grafen und dem Vogt Vorschriften machen zu können. Ihr macht Eure Rechnung ohne den Wirt. Wir sind zu mächtig für Euch. Ihr macht uns nichts als Scherereien.« Eustace, ein hässlicher Mann mit schiefstehenden Zähnen und einem Schielauge, wirkte in seinem schmuddeligen gelben Gewand selber reichlich unbedeutend; dennoch fühlte sich Philip von seinen Worten tief getroffen. Ihm war schmerzhaft klar, dass keiner der Steinbrecher gestorben wäre, hätte nicht er sich William Hamleigh zum Feind gemacht. Aber blieb ihm denn eine andere Wahl? Wenn er die Flinte ins Korn warf, würden noch mehr Menschen zu Schaden kommen – wie der Müller, den William umgebracht hatte, wie die Tochter des Leibeigenen, die William und seine Ritter geschändet hatten. Er musste weiterkämpfen.
Und das hieß, dass er den König aufsuchen musste.
Gerne tat er es gewiss nicht. Schon einmal, vor vier Jahren in Winchester, hatte er sich an den König gewandt, und obwohl seiner Bitte damals stattgegeben wurde, hatte er sich doch am königlichen Hofe schrecklich unwohl gefühlt. Der König war von ebenso listigen wie
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