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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Mönche, zu kitzeln oder mit ihm Nachlaufen zu spielen, erzählte er ihm biblische Geschichten, unterhielt ihn mit Abzählreimen und hatte stets ein wachsames Auge auf ihn.
    Er betrat den Raum, lächelte Johnny an und setzte sich zu den eingebildeten Schuljungen auf die Bank.
    »Guten Morgen, Vater«, sagte Jonathan mit ernster Miene. Johnny hatte ihm beigebracht, stets betont höflich zu sein.
    Philip sagte: »Was hieltest du davon, zur Schule zu gehen?«
    »Latein kann ich schon«, brüstete Jonathan sich.
    »Wirklich?«
    »Ja. Hör zu: Omnius pluvius buvius nomine patri amen.«
    Philip verbiss sich das Lachen. »Das klingt zwar wie Latein, aber so ganz stimmt es noch nicht. Bruder Osmund, unser Novizenmeister, wird es dir richtig beibringen.«
    Jonathan wirkte ein wenig niedergeschlagen angesichts der Erkenntnis, dass er doch noch kein Latein konnte. Er sagte: »Ich kann aber ganz, ganz schnell laufen, schau!«
    So schnell er konnte, rannte er von einem Ende des Raumes zum anderen.
    »Wunderbar!«, rief Philip. »Das ist wirklich sehr schnell.«
    »Ja – und ich kann sogar noch schneller rennen –«
    »Nicht jetzt«, sagte Philip. »Hör mir mal zu. Ich gehe für eine Weile weg.«
    »Bist du morgen wieder da?«
    »Nein, so bald nicht.«
    »Nächste Woche?«
    »Auch dann noch nicht.«
    Jonathan sah ratlos drein. Eine Zeitspanne von mehr als einer Woche ging über seinen Verstand. Dann ergründete er ein anderes Rätsel: »Warum denn?«
    »Ich muss den König sprechen.«
    »Oh.« Auch damit konnte Jonathan nicht viel anfangen.
    »Und ich hätte gerne, dass du in meiner Abwesenheit zur Schule gehst. Würde dir das Spaß machen?«
    »Ja!«
    »Du bist jetzt fast fünf. Nächste Woche hast du Geburtstag. Am ersten Tag des Jahres bist du zu uns gekommen.«
    »Woher bin ich denn gekommen?«
    »Von Gott. Alles kommt von Gott.«
    Jonathan gab sich mit der Antwort nicht zufrieden. »Aber wo war ich denn davor?« , hakte er nach.
    »Ich weiß nicht.«
    Jonathan runzelte die Stirn; auf seinem sorgenfreien, blutjungen Gesichtchen sah das sehr komisch aus. »Aber irgendwo muss ich doch gewesen sein!«
    Eines Tages, dachte Philip, wird irgendwer Jonathan erklären müssen, wo die kleinen Kinder herkommen. Bei dem Gedanken daran verzog er das Gesicht zu einer Grimasse. Nun, so weit war es, Gott sei Dank, noch nicht! Er wechselte das Thema. »Ich möchte, dass du während meiner Abwesenheit bis hundert zählen lernst.«
    »Ich kann schon zählen«, sagte Jonathan. »Eins zwei drei vier fünf sechs sieben acht neun zehn elf zwölf grölf tölf mölf –«
    »Nicht schlecht«, meinte Philip, »aber Bruder Osmund wird dir noch viel mehr beibringen. Du musst bloß während des Unterrichts still sitzen und ihm aufs Wort gehorchen, verstanden?«
    »Ich werde bestimmt der Beste der ganzen Schule!«, behauptete Jonathan.
    »Warten wir’s ab.« Philip betrachtete den Jungen noch eine Weile lang. Die Entwicklung des Kindes faszinierte ihn – die Art und Weise, wie er sich Wissen aneignete, welch unterschiedliche Phasen er durchlief. Gegenwärtig verwunderte Philip vor allem der Nachdruck, mit dem der Kleine ständig behauptete, schon Latein sprechen und zählen und schnell laufen zu können: Ob das wohl eine notwendige Vorstufe für echtes Lernen war? Irgendeinen Zweck musste es in Gottes Plan wohl erfüllen. Eines Tages würde Jonathan ein erwachsener Mann sein. Philips Gedankengänge machten ihn so ungeduldig, dass er beinahe wünschte, Jonathan möge rascher heranwachsen.
    Doch bis dahin würde noch ebenso viel Zeit vergehen wie beim Bau der Kathedrale.
    »Dann gib mir einen Kuss zum Abschied«, sagte Philip.
    Jonathan hob ihm das Gesichtchen entgegen, und Philip drückte ihm einen Kuss auf die weiche Wange. »Auf Wiedersehen, Vater«, sagte Jonathan.
    »Auf Wiedersehen, mein Sohn«, antwortete Philip.
    Er drückte Johnny Eightpence liebevoll den Arm und ging hinaus.
    Die Mönche kamen aus der Krypta und begaben sich ins Refektorium. Philip schlug die entgegengesetzte Richtung ein; er wollte in der Krypta für den Erfolg seiner Mission beten.
    Es hatte ihm schier das Herz gebrochen, als er erfuhr, was im Steinbruch vorgefallen war. Fünf Tote, darunter ein kleines Mädchen! Er hatte sich in sein Haus verkrochen und bitterlich geweint. Fünf seiner Schafe von William Hamleigh und dessen brutaler Meute niedergestreckt! Philip hatte sie alle gekannt: Harry von Shiring, den ehemaligen Steinbruchmeister von Lord Percy; den

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