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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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laufen!«
    Schnell wie eine Ratte kam der Mann aus dem Graben. Er hatte ein Messer gezückt und wollte Tom an die Gurgel. Agnes schrie auf. Tom duckte sich. Das Messer blitzte auf, und er spürte einen brennenden Schmerz am Unterkiefer. Wieder blitzte das Messer auf, doch diesmal sprang Tom rechtzeitig zurück und holte gleichzeitig mit dem Hammer aus. Da auch der Dieb zurücksprang, pfiffen Messer und Hammer durch die feuchte Abendluft, ohne zu treffen.
    Einen Augenblick lang standen die beiden Männer einander schwer keuchend gegenüber und starrten sich an. Toms Wange schmerzte. Der Gegner war ihm durchaus gewachsen, zwar kleiner, aber mit einem Messer bewaffnet, das erheblich gefährlicher war als Toms Schlaghammer. Todesangst ergriff Tom und nahm ihm den Atem.
    Aus dem Augenwinkel gewahrte Tom eine plötzliche Bewegung. Auch der Dieb bemerkte sie. Er sah sich nach Agnes um und duckte sich: Der Stein, den sie geworfen hatte, flog haarscharf an seinem Kopf vorbei.
    Tom nutzte die Gelegenheit mit der Geschwindigkeit eines Mannes, der weiß, dass es um sein Leben geht. Er holte aus, ließ den Hammer auf den gebeugten Kopf des Diebes niedersausen und traf ihn im selben Augenblick, da er sich wieder aufrichten wollte. Es war ein hastig geführter Schlag, in dem längst nicht alle Kraft lag, die aufzubringen Tom imstande war. Der Mann taumelte, fiel aber nicht.
    Tom schlug ein zweites Mal zu.
    Er konnte sich Zeit nehmen. Er konnte weit ausholen und gut zielen und dachte an Martha, als er zuschlug. Diesmal traf der eiserne Hammerkopf den noch ganz benommenen Dieb mit voller Wucht an der Stirn, genau auf den Haaransatz. Er stürzte zu Boden wie ein nasser Sack.
    Tom war so erregt, dass er keinerlei Erleichterung verspürte. Er kniete neben dem Wegelagerer nieder und durchsuchte ihn. »Wo ist seine Geldtasche?«, rief er. »Wo, zum Teufel, hat er unser Geld?« Der schlaffe Körper ließ sich nur mühsam bewegen. Schließlich gelang es Tom, ihn auf den Rücken zu wälzen. Er öffnete den Umhang. Am Gürtel war ein großer, lederner Geldbeutel befestigt. Tom öffnete die Schnalle. Im Beutel befand sich ein weiches Wollsäckchen, das mit einer Zugschnur versehen war. Tom zog das Säckchen heraus. Es war sehr leicht. Er sah hinein. »Leer! Er muss noch eine andere Tasche haben!«
    Er zog dem Mann den Umhang aus und tastete ihn sorgfältig ab. Es gab keine versteckten Taschen, keine harten Stellen. Er zog ihm die Stiefel aus. Nichts. Er zog sein Essmesser aus dem Gürtel und schlitzte die Sohlen auf: wieder nichts. Ungeduldig fuhr er mit dem Messer in die Wolltunika des Diebes und schlitzte sie bis zum Saum auf. Aber der Mann trug auch keinen verborgenen Leibgurt, in dem er das Geld verwahrte.
    Der Dieb lag jetzt mitten auf der Straße im Matsch, nackt bis auf die Strümpfe. Der Bauer und sein Sohn glotzten Tom an wie einen Verrückten. »Er hat nicht einen Penny bei sich!«, schrie Tom Agnes zu. Er war außer sich vor Wut.
    »Dann hat er alles verspielt«, erwiderte sie bitter.
    »Ich hoffe, er muss dafür im tiefsten Höllenfeuer brennen«, sagte Tom.
    Agnes kniete nieder und legte dem Dieb die Hand auf die Brust.
    »Genau das tut er jetzt«, gab sie zur Antwort. »Du hast ihn umgebracht.«
    +++
    Zu Weihnachten litten sie Hunger.
    Der Winter kam in jenem Jahr früh, und er war so kalt und hart und unnachgiebig wie der eiserne Meißel des Steinmetzen. Als erster Reif Felder und Wiesen überzuckerte, hingen noch Äpfel an den Bäumen. Die Leute sagten, das geht vorüber, aber der Frost blieb. In manchen Dörfern, wo man das herbstliche Pflügen ein wenig zu lange hinausgezögert hatte, brachen die Pflugscharen bei dem Versuch, die steinharte Erde aufzulockern. Eilig schlachteten die Bauern ihre Schweine und pökelten sie ein, und die Grundherren schlachteten ihre Rinder, weil das Weidegras nicht ausreichte, die Herden vollzählig über den Winter zu bringen. Aber sogar das wenige Gras, das noch verfügbar war, welkte unter dem endlosen Frost dahin, sodass noch viele Rinder starben, die dem Schlachterbeil entgangen waren. Hungrige Wölfe drangen in der Dämmerung in die Dörfer ein und holten sich so manches magere Huhn und unvorsichtige Kind.
    Überall im Land hatte man auf den Baustellen beim ersten Frosteinbruch die im Sommer errichteten Mauern hastig mit Stroh und Dung bedeckt und sie auf diese Weise gegen die ärgste Kälte geschützt, denn der Mörtel war noch nicht ganz trocken und durfte, sollte er nicht brüchig

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