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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Rüben. Sie waren noch nicht ganz durch, aber er wollte die anderen nicht länger warten lassen. Alfred und Martha bekamen ihre Näpfe gefüllt, dann war Agnes an der Reihe.
    Sie wirkte sehr erschöpft und hing ihren Gedanken nach, als Tom ihr den Napf reichte. Bevor sie die Suppe an die Lippen hob, blies sie hinein, um sie ein wenig zu kühlen.
    Die Kinder waren rasch fertig und baten um einen Nachschlag. Tom schützte seine Hände mit dem Mantelsaum, nahm den Topf vom Feuer und teilte den Rest der Suppe unter Alfred und Martha auf.
    Als er zu Agnes zurückkehrte, fragte sie ihn: »Und du?«
    »Ich esse morgen was«, gab er zur Antwort.
    Sie war zu müde, um zu widersprechen.
    Tom und Alfred schürten das Feuer und sammelten gemeinsam Holz für die Nacht. Dann wickelten sie sich in ihre Mäntel und legten sich ins Laub.
    Tom fiel in einen unruhigen Schlaf. Als er Agnes stöhnen hörte, war er sofort hellwach.
    »Was ist los?«, flüsterte er.
    Wieder stöhnte sie auf. Ihr Gesicht war bleich, die Augen hielt sie geschlossen. Nach einer Weile antwortete sie: »Das Kind kommt.«
    Tom schlug das Herz bis zum Hals. Nicht hier, dachte er, nicht hier auf dem gefrorenen Boden mitten im Wald. »Es ist doch noch gar nicht fällig«, sagte er.
    »Es kommt vor der Zeit.«
    Tom gab sich alle Mühe, ruhig und besonnen zu klingen. »Ist das Wasser schon abgegangen?«
    »Schon kurz hinter der Hütte des Jagdaufsehers.« Agnes keuchte, die Augen waren noch immer geschlossen.
    Tom erinnerte sich, dass sie plötzlich im Gebüsch verschwunden war. Er hatte geglaubt, ein natürliches Bedürfnis habe sie überkommen. »Hast du Wehen?«
    »Ja, die ganze Zeit schon.«
    Es passte zu ihr, dass sie kein Wort darüber verloren hatte. Inzwischen waren auch Alfred und Martha erwacht. »Was ist denn los?«, fragte Alfred.
    »Das Kind kommt«, sagte Tom.
    Martha brach in Tränen aus.
    Tom runzelte die Stirn. »Meinst du, du schaffst es noch zurück bis zur Försterhütte?«, fragte er Agnes. Dort gab es wenigstens ein Dach, ein bisschen Stroh zum Daraufliegen – und jemanden, der ihnen helfen konnte.
    Agnes schüttelte den Kopf.
    »Dann wird es also nicht mehr lange dauern.« Sie befanden sich im einsamsten Teil des Waldes. Den ganzen Tag über hatten sie kein Dorf gesehen, und der Jagdaufseher hatte gemeint, sie würden auch am kommenden Tag keines zu Gesicht bekommen. Es bestand nicht die geringste Aussicht, eine Frau zu finden, die etwas von der Hebammenkunst verstand. Er selbst würde Agnes entbinden müssen, hier draußen in der Kälte, und nur die Kinder würden ihm beistehen. Und falls es Schwierigkeiten gab … Er hatte keinerlei Medizin – und keine Ahnung dazu.
    Es ist alles meine Schuld, dachte er bei sich. Ich habe sie geschwängert, ich habe sie ins Elend gebracht. Sie hat sich auf mich verlassen, und nun muss sie das Kind mitten im Winter unter freiem Himmel auf die Welt bringen! Männer, die Kinder in die Welt setzten und sie später verhungern ließen, hatte Tom zeitlebens verachtet. Jetzt musste er einsehen, dass er selbst um keinen Deut besser war. Er empfand tiefe Scham.
    »Ich bin so müde«, sagte Agnes, »ich glaube, ich schaffe es nicht. Ich möchte Ruhe, nur Ruhe …« Ein dünner Schweißfilm ließ ihr Gesicht im Feuerschein erglänzen.
    Ich muss mich zusammenreißen, dachte Tom. Ich muss ihr Mut zusprechen, damit sie bei Kräften bleibt. »Ich helfe dir«, sagte er. Es war im Grunde nichts Besonderes oder Geheimnisvolles, was ihnen jetzt bevorstand; er selbst hatte schon mehrmals miterlebt, wie Kinder auf die Welt kamen. Die Hebammenarbeit freilich war normalerweise Frauensache: Frauen wussten, wie der werdenden Mutter zumute war; sie konnten daher auch besser auf sie eingehen. Nichts sprach jedoch dagegen, dass im Notfall auch ein Mann den nötigen Beistand leistete.
    »Mir ist kalt«, sagte Agnes.
    »Komm näher ans Feuer«, antwortete er, zog seinen Umhang aus und breitete ihn gleich neben dem Feuer auf den Boden. Agnes versuchte aufzustehen. Tom nahm sie auf die Arme und bettete sie vorsichtig auf das neue Lager. Dann kniete er neben ihr nieder. Unter ihrem Winterumhang trug sie eine von oben bis unten durchgeknöpfte Wolltunika. Tom öffnete zwei Knöpfe und ließ seine Hände hineingleiten. Agnes hielt die Luft an.
    »Tut es weh?«, fragte er erschrocken.
    »Nein«, erwiderte sie und lächelte. »Deine Hände sind so kalt.«
    Er tastete ihren Bauch ab. Die Schwellung war höher und spitzer als in der Nacht

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