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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Liebe.«
    Sie blickte ihn geradeheraus an. Sie wusste, dass sie eine Ausnahme war: Die meisten Frauen konnten es gar nicht abwarten, bis sie unter die Haube kamen, und waren sie, wie in ihrem Fall, mit zweiundzwanzig noch immer ohne Mann, konnten sie es nicht nur gar nicht erwarten, sondern waren geradezu versessen darauf. Was stimmt bloß nicht mit mir, dachte sie. Alfred ist jung, gesund und wohlhabend: Halb Kingsbridge macht ihm schöne Augen. Einen Augenblick lang geriet sie in Versuchung, Ja zu sagen. Aber dann erregte allein der Gedanke an ein Leben mit Alfred – jeden Tag mit ihm zu Abend zu essen, mit ihm zur Kirche zu gehen, seine Kinder zur Welt zu bringen – äußersten Widerwillen in ihr. O nein, lieber einsam und allein bleiben! Sie schüttelte den Kopf. »Schlagt Euch das aus dem Kopf, Alfred«, sagte sie fest. »Ich brauche keinen Ehemann, weder für die Liebe noch für sonst etwas.«
    Er ließ sich nicht so leicht entmutigen. »Ich liebe Euch, Aliena«, sagte er. »Es hat mich wahrhaft glücklich gemacht, mit Euch zusammenzuarbeiten. Ich brauche Euch. Wollt Ihr meine Frau werden?«
    Er war also mit der Sprache herausgerückt. Bedauerlich, denn nun war sie gezwungen, ihn formell abzulehnen. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass es keinen Zweck hatte, Verehrer mit Samthandschuhen anzufassen: Sie hielten eine freundliche Ablehnung für ein Zeichen von Entschlusslosigkeit und rückten ihr erst recht zu Leibe. »Nein, das will ich nicht«, erwiderte sie. »Ich liebe Euch nicht, und es hat mir keine Freude gemacht, mit Euch zusammenzuarbeiten; ich würde Euch auch dann nicht heiraten, wenn Ihr der einzige Mann auf Erden wäret.«
    Er war zutiefst gekränkt. Er musste sich gute Chancen ausgerechnet haben. Dabei war sich Aliena ganz sicher, dass sie nichts getan hatte, das er als Ermunterung hätte auffassen können. Gewiss, sie hatte ihn als gleichberechtigten Partner behandelt, ihm zugehört, wenn er etwas zu sagen hatte, direkt und offen mit ihm geredet, ihre Verpflichtungen erfüllt und von ihm das Gleiche erwartet. Aber es gab Männer, die das für einen Freibrief hielten. »Wie könnt Ihr so etwas sagen?«, stammelte er.
    Sie seufzte. Er war verletzt, und er tat ihr leid; aber im Handumdrehen würde er ungehalten werden und sich aufführen, als hätte sie ungerechtfertigte Vorwürfe gegen ihn erhoben; schließlich würde er sich einreden, grundlos von ihr beleidigt worden zu sein, und ausfallend werden. Nicht, dass sämtliche zurückgewiesenen Verehrer sich so benahmen; aber auf einen bestimmten Typus Mann traf dies zu, und Alfred gehörte einwandfrei zu diesem Typus. Sie musste die Versammlung schnellstens verlassen.
    Sie erhob sich. »Ich ehre Euren Antrag, und ich danke Euch dafür«, sagte sie. »Bitte nehmt auch meine Absage hin, und fragt mich nie wieder.«
    »Ihr rennt wohl davon, um meinen rotznasigen kleinen Stiefbruder zu sehen«, sagte er bösartig. »Ich kann mir vorstellen, dass er es Euch gut besorgt.«
    Aliena wurde rot vor Scham. Man hatte also bemerkt, dass sie mit Jack befreundet war. Und Alfred sah es ähnlich, ihre Beziehung durch den Schmutz zu ziehen. Nun ja, sie rannte tatsächlich davon, um sich mit Jack zu treffen, und sie würde sich durch Alfred nicht davon abhalten lassen. Sie beugte sich vor, bis ihr Gesicht direkt vor seinem war und er verblüfft zurückfuhr. Ruhig und überlegt sagte sie: »Fahrt – zur – Hölle.« Dann wandte sie sich ab und ging hinaus.
    Einmal im Monat saß Prior Philip in der Krypta zu Gericht. In früheren Zeiten hatte es lediglich einen Gerichtstag im Jahr gegeben, und selbst dann hatten die anliegenden Geschäfte so gut wie nie den ganzen Tag in Anspruch genommen. Aber die Verdreifachung der Bevölkerung hatte eine Verzehnfachung der Gesetzesverstöße mit sich gebracht.
    Darüber hinaus hatte sich die Natur der Verbrechen verändert. Ehedem war es hauptsächlich um Land, Felderverträge oder Vieh gegangen. So versuchte ein gieriger Bauer etwa, die Grenzen eines Feldes heimlich zu verrücken, um sein Land auf Kosten seines Nachbarn zu vergrößern; ein Arbeiter stahl von der Witwe, für die er arbeitete, einen Sack Getreide; eine arme Frau mit zu vielen Kindern melkte eine Kuh, die ihr nicht gehörte. Heutzutage dreht es sich meistens um Geld, dachte Philip, während er an diesem ersten Dezembertag zu Gericht saß. Lehrlinge bestahlen ihre Meister, ein Ehemann brachte die Mutter seiner Frau um ihre Ersparnisse, Händler gaben in falscher

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