Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
wenig näher auf den Leib, und seine Prankenhiebe verfehlten sie immer knapper. Die Zuschauer glaubten schon zu wissen, was kam, und ihre Erregung nahm noch zu. Jonathan stand noch immer in der vordersten Reihe, wenige Schritte von Tom entfernt; er wirkte gefesselt und ängstlich zugleich. Tom, der den Blick wieder dem Kampf zuwandte, bekam gerade noch mit, wie der Bär einen der Hunde mit der Tatze streifte, während ein zweiter zwischen seinen Hinterbeinen hindurchschlüpfte und sich in seinem weichen Bauch verbiss. Der Bär gab eine Art schrillen Schrei von sich. Sein Angreifer löste sich und nahm Reißaus. Sofort warf sich ein anderer auf ihn. Der Bär schlug nach ihm, verfehlte ihn jedoch, und der nämliche Hund wie zuvor ging ihm wieder an den Bauch. Diesmal brachte er seinem Opfer eine riesige, blutig klaffende Wunde bei, bevor er sich zurückzog. Der Bär bäumte sich auf und ließ sich dann auf alle viere fallen. Einen Augenblick lang meinte Tom, der Kampf sei nun zu Ende, aber so schnell gab der Bär nicht auf. Sobald der nächste Hund zum Angriff ansetzte, parierte er mit einem Scheinschlag, wandte den Kopf, sah den zweiten Hund auf sich zukommen, drehte sich überraschend schnell um und versetzte ihm einen machtvollen Hieb, der ihn durch die Luft segeln ließ. Die Menge tobte vor Begeisterung, als der Hund wie ein Klumpen Fleisch auf dem Boden landete. Tom beobachtete ihn einen Augenblick lang. Er war noch am Leben, schien sich aber nicht bewegen zu können. Vielleicht hatte der Hieb ihm das Rückgrat gebrochen. Der Bär beachtete ihn nicht weiter, denn er war nun außer Reichweite und konnte ihm nicht mehr gefährlich werden.
Zwei Hunde waren noch übrig. Beide sprangen mehrmals in Reichweite des Bären, zogen sich aber schnellstens wieder zurück, bis Meister Petz nur noch rein mechanisch reagierte; dann begannen sie, ihn schneller und immer schneller zu umkreisen. Der Bär tappte hierhin und dorthin, versuchte verzweifelt beide Gegner gleichzeitig im Auge zu behalten. Er war erschöpft, blutete stark und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Die Hunde zogen ihre Kreise immer enger. Die Erde unter den mächtigen Bärentatzen hatte sich in blutigen Schlamm verwandelt. Wie immer es ausgehen mochte – das Ende des Kampfes war abzusehen. Schließlich griffen beide Hunde gleichzeitig an. Einer sprang dem Bären an den Hals, der andere attackierte seinen Bauch. Mit einem letzten verzweifelten Schlag hieb der Bär nach dem Hund an seinem Hals. Eine grausige Blutfontäne schoss hervor, und die Menge johlte begeistert auf. Tom meinte zunächst, der Hund hätte den Bären getötet, dann sah er, dass es umgekehrt war: Das Blut troff aus dem Hund, der nun mit aufgeschlitztem Hals zu Boden fiel. Kurz darauf versiegte der Blutstrom; der Hund war tot. Zwischenzeitlich hatte der letzte Hund aber dem Bären den Bauch aufgerissen, sodass die Gedärme herausquollen. Das Tier setzte sich nur noch mühselig zur Wehr. Der Hund konnte seinem Schlag mit Leichtigkeit ausweichen, griff erneut an und verbiss sich in seinen Gedärmen. Der Bär schwankte und schien kurz vor dem Ende. Die Menge tobte vor Begeisterung, und aus den aufgebissenen Gedärmen des Bären drang abscheulicher Gestank. Noch einmal sammelte er all seine Kraft und schlug nach dem Hund. Der Hieb hinterließ einen langen, blutenden Riss, der quer über den Rücken des Hundes verlief; aber die Wunde war nicht tief, und dem Jäger war klar, dass es mit dem Bären zu Ende ging. Sogleich griff er wieder an und verbiss sich in seinen Gedärmen, bis das mächtige Tier die Augen schloss und tot zu Boden sackte.
Der Bärenführer erschien und packte den siegreichen Hund am Halsband. Der Schlachter von Kingsbridge trat mit seinem Gehilfen heran, und sie begannen, den Bären zu zerlegen. Vermutlich haben sie sich mit dem Besitzer im Voraus auf einen Preis geeinigt, dachte Tom. Die Zuschauer, die auf den Sieger gewettet hatten, forderten ihren Gewinn. Und alle wollten den siegreichen Hund streicheln. Tom sah sich nach Jonathan um. Jonathan war nirgends zu sehen.
Das Kind hatte während der Bärenhatz keine zehn Schritt von Tom entfernt gestanden. Wie war es ihm gelungen, sich einfach aus dem Staub zu machen? Es muss passiert sein, als das Spektakel seinem Höhepunkt zustrebte, dachte Tom und machte sich Vorwürfe. Suchend sah er sich in der Menge um. Zwar überragte er alle anderen um Haupteslänge, und Jonathan in seiner Mönchskutte und mit seinem geschorenen
Weitere Kostenlose Bücher