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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Tom. Glücklich war er darüber nicht, aber Jonathan wirkte zu mitgenommen, als dass er in dieser Höhe auf sich allein gestellt bleiben konnte. Tom stieg auf die Mauer, kniete sich neben Jonathan, nahm ihn auf den Arm und richtete sich wieder auf.
    Jonathan klammerte sich an ihn.
    Tom trat einen Schritt nach vorn. Das Kind im Arm versperrte ihm die Sicht auf die Steine unter seinen Füßen, doch damit musste er sich wohl oder übel abfinden. Vorsichtig und mit wild klopfendem Herzen setzte er einen Fuß vor den anderen. Um sich selbst hatte er keine Bedenken, aber das Kind in seinem Arm ließ ihn in Angstschweiß ausbrechen. Endlich hatte er die erste Stufe erreicht. Zunächst war die Mauer dort zwar nicht breiter, doch die Stufen ließen sie weniger steil erscheinen. Erleichtert begann er mit dem Abstieg und fühlte sich mit jedem Schritt, den er tat, ruhiger. In Höhe des Triforiums, wo die Wand sich auf drei Fuß verbreiterte, hielt er einen Moment lang inne, um Atem zu schöpfen.
    Müßig ließ er den Blick über das Klostergelände, Kingsbridge und die jenseitigen Felder schweifen – und was er dort erblickte, machte ihn stutzig. Eine riesige Staubwolke, etwa eine halbe Meile entfernt, hing über der Straße, die auf die Stadt zuführte. Erst nach einer Weile erkannte er, dass es sich um eine große Truppe Berittener handelte, die sich zügig näherte. Angestrengt spähte er in die Ferne und versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. Zunächst meinte er, das müsse ein einzelner wohlhabender Kaufmann mit großem Gefolge sein, vielleicht gar eine Gruppe von Kaufleuten, doch dann wurde ihm klar, dass es viel zu viele waren, die überdies ganz und gar nicht wie Handelsleute wirkten. Angestrengt dachte er darüber nach, was ihn zu dem Schluss bewogen hatte, es könne sich auf keinen Fall um friedliche Kaufleute handeln – bis er in dem näher rückenden Haufen Schlachtrösser und Helme ausmachte und erkannte, dass die Männer bis an die Zähne bewaffnet waren.
    Mit einem Mal war ihm angst und bange zumute.
    »Herr im Himmel, wer kann das sein«, sagte er laut.
    »Du sollst nicht ›Herr im Himmel‹ sagen!«, meinte Jonathan.
    Wer immer das sein mochte – sie verhießen nichts Gutes.
    Tom eilte die Stufen hinab. Die Menge spendete Beifall, als er auf den Boden sprang, aber er schenkte ihr keine Beachtung. Wo waren Ellen und die Kinder? Suchend sah er sich um, konnte sie aber nirgends entdecken.
    Jonathan machte Anstalten, sich aus seinen Armen zu winden, doch Tom hielt ihn fest umschlungen. Da er seinen Jüngsten schon einmal bei sich hatte, bot es sich geradezu an, ihn zuallererst in Sicherheit zu bringen. Dann konnte er sich immer noch auf die Suche nach den anderen machen. Er zwängte sich durch die Menschenmenge auf die Tür zu, die zum Kreuzgang führte. Sie war von innen verriegelt, damit wenigstens ein Teil des Klosters vom lärmenden Treiben der Messe verschont blieb. Tom bollerte gegen die Tür und rief: »Macht auf! Macht auf!«
    Nichts rührte sich.
    Tom wusste nicht einmal, ob sich überhaupt jemand im Kreuzgang aufhielt. Doch für Mutmaßungen blieb keine Zeit. Er trat ein paar Schritte zurück, setzte Jonathan ab, hob seinen gestiefelten rechten Fuß und versetzte der Tür einen kräftigen Tritt. Rings um das Schloss barst das Holz. Er trat ein zweites Mal zu, noch fester, und die Tür flog auf. Genau dahinter stand ein älterer Mönch, der ihm verblüfft entgegensah. Tom hob Jonathan vom Boden und stellte ihn im Kreuzgang auf die Füße. »Behaltet ihn hier«, sagte er zu dem Alten. »Es sieht nach Ärger aus.«
    Der Mönch nickte ergeben und nahm Jonathan bei der Hand.
    Tom schloss die Tür.
    Jetzt musste er nur noch seine Familie finden – in einer Menge von tausend oder noch mehr Menschen!
    Das erschien ihm schier aussichtslos, und seine Sorge wuchs. Weit und breit kein bekanntes Gesicht! Er stieg auf ein leeres Bierfass, um einen besseren Überblick zu bekommen. Es war Mittagszeit, der Jahrmarkt hatte also seinen Höhepunkt erreicht. Wie ein träger Strom wälzte sich die Menschenmasse durch die Marktreihen, und vor den Buden, die Essen und Trinken feilboten, herrschte ein unbeschreiblicher Andrang. Tom durchkämmte die Menge mit den Augen, konnte aber keinen seiner Angehörigen ausmachen. Es war zum Verzweifeln! Er ließ seinen Blick über die Hausdächer schweifen: Die Reiter hielten mittlerweile im gestreckten Galopp auf die Brücke zu, ausnahmslos Bewaffnete, jeder mit einer

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