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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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wieder ohne ersichtlichen Grund in Tränen ausbrechen zu müssen. In Gedanken hielt er noch immer Zwiesprache mit ihr, erzählte ihr von den Kindern, von Prior Philip und der Kathedrale, wenn auch seltener als früher. Und die bittersüßen Erinnerungen an seine erste Frau konnten die Liebe, die er für Ellen empfand, nicht überschatten; er lebte durchaus in der Gegenwart. Und Ellen zu sehen, zu berühren, mit ihr zu reden und zu schlafen war ein immerwährender Quell der Freude für ihn.
    Wie tief ihn Jack damals, am Tag seiner schlimmen Auseinandersetzung mit Alfred, getroffen hatte, als er behauptete, er, Tom, habe sich nie richtig um ihn gekümmert! Sogar die folgende schreckliche Enthüllung, Jack hätte die alte Kathedrale in Brand gesteckt, war von diesem Vorwurf in den Schatten gestellt worden. Wochenlang hatte er sich damit herumgequält, bis er endlich entschied, Jack müsse unrecht haben: Er, Tom, hatte stets sein Bestes gegeben, und mehr konnte man wahrhaftig von niemandem verlangen. Danach hatte es ein Ende mit dem Kopfzerbrechen.
    Der Dombau nahm ihn wieder gänzlich gefangen. Diese Aufgabe erwies sich mehr und mehr als die dankbarste Arbeit seines Lebens. Er allein trug die volle Verantwortung für Planung und Ausführung. Niemand redete ihm drein, und ging etwas schief, brauchte er den Fehler nur bei sich selbst zu suchen. Der Anblick der hoch aufragenden, mächtigen Mauern mit ihren regelmäßig wiederkehrenden Bogen, den anmutigen Friesen und den schöpferischen Figuren ließ ihn zutiefst befriedigt denken: All das habe ich geschaffen, und siehe, es ist wohlgetan.
    Sein alter Albtraum, eines Tages wieder mit hungernden Kindern, ohne Arbeit und ohne einen roten Heller auf der Straße zu stehen, schien nun, da unter dem Stroh in seiner Küche eine mächtige, mit Silberpennys gefüllte Truhe vergraben war, unwirklicher denn je. Dachte er an jene eisigkalte Nacht, da Agnes Jonathan geboren und den Tod gefunden hatte, so liefen ihm noch heute Schauer des Grauens über den Rücken; dennoch hatte er das sichere Gefühl, dass ihm derart Entsetzliches nie mehr widerfahren würde.
    Mitunter kam ihm die Frage in den Sinn, warum Ellen und er eigentlich keine gemeinsamen Kinder hatten. Sie waren beide fruchtbar – die Vergangenheit bewies es –, und Ellen hatte reichlich Gelegenheit gehabt, schwanger zu werden – selbst jetzt noch, nach vier Jahren, liebten sie sich beinahe jede Nacht. Dennoch bereitete ihm ihre Kinderlosigkeit keinen Kummer: Der kleine Jonathan war sein Ein und Alles.
    An einem Jahrmarkt, das wusste er aus Erfahrung, hatte man den meisten Spaß mit kleinen Kindern. Daher machte er sich, als der Vormittag zur Hälfte herum war und das Getümmel einsetzte, allmählich auf die Suche nach Jonathan, der als Miniaturmönch schon fast selbst zu den Attraktionen zählte. Jonathan hatte vor nicht allzu langer Zeit den Wunsch geäußert, sich den Kopf scheren zu lassen, und Philip, dem Knaben nicht weniger zugetan als Tom, hatte seinem Wunsch entsprochen mit dem Resultat, dass der Junge mehr denn je einem Zwergmönch glich. Etliche echte Zwergwüchsige hatten sich unter die Menschenmenge gemischt, zeigten ihre Kunststücke vor und bettelten. Jonathan war fasziniert von ihnen, und Tom musste ihn eiligst von einem Zwerg wegdrängen, der eine große Zuschauerzahl anzog, indem er seinen normal großen Penis zur Schau stellte.
    Jonglierkünstler, Akrobaten und Musikanten gaben ihr Können zum Besten und ließen den Hut herumgehen; Wahrsager, Quacksalber und Huren drängten den Besuchern ihre Dienste auf; Kräfte wurden gemessen, Ringkämpfe ausgefochten und Glücksspiele veranstaltet. Die Leute trugen ihre farbenfrohsten Kleider, und wer es sich leisten konnte, hatte sich mit Duftstoffen überschüttet und das Haar geölt. Jedermann schien das Geld locker in der Tasche zu sitzen, und die Luft war erfüllt vom Klimpern der Silbermünzen.
    Die Bärenhatz sollte beginnen. Jonathan hatte noch nie einen Bären gesehen und kam aus dem Staunen nicht heraus. Der graubraune Pelz des Tieres war an mehreren Stellen vernarbt und ließ darauf schließen, dass es zumindest einen Wettkampf überlebt hatte. Eine schwere Kette war um seine Mitte geschlungen und am anderen Ende an einem tief in den Boden gerammten Pfahl befestigt; der Bär selber stapfte an der straff gespannten Kette im Kreis herum und äugte bösartig in die wartende Menge. Tom vermeinte, ein verschlagenes Aufleuchten in seinen Augen ausgemacht zu

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