Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Miene zu verbergen. »Ich habe gestern die Stadt Kingsbridge niedergebrannt.«
»Ich weiß«, fiel ihm Waleran ins Wort. »Den ganzen Tag schon bekomme ich nichts anderes zu hören. Was ist in Euch gefahren? Habt Ihr den Verstand verloren?«
Diese Reaktion kam für William völlig unerwartet. Er hatte den Überfall mit Waleran nicht im Voraus besprochen, weil er sich dessen Billigung sicher geglaubt hatte – Waleran hasste alles, was mit Kingsbridge zusammenhing, besonders aber Prior Philip. William hatte erwartet, Waleran werde sich erfreut, wenn nicht sogar schadenfroh zeigen. Er sagte: »Ich habe Euren größten Feind ruiniert. Und nun muss ich meine Sünden bekennen.«
»Das wundert mich nicht«, gab Waleran zurück. »Es heißt, dass mehr als hundert Menschen in dem Feuer umgekommen sind.« Er schauderte. »Schrecklich, so zu sterben.«
»Ich bin zur Beichte bereit«, sagte William.
Waleran schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich Euch Absolution erteilen kann.«
Ein Angstschrei bildete sich auf Williams Lippen. »Wieso nicht?«
»Ihr wisst, dass Bischof Henry von Winchester und ich uns wieder auf die Seite von König Stephan geschlagen haben. Ich glaube kaum, dass es der König gutheißen wird, wenn ich einem Verbündeten Mathildes die Absolution erteile.«
»Verflucht noch mal, Waleran, Ihr wart es doch, der mich bewogen hat, das Lager zu wechseln!«
Waleran zuckte die Achseln. »Dann wechselt Ihr es eben noch einmal.«
William begriff, dass dies von vornherein Walerans Ziel gewesen war: Ich soll mich also wieder mit Stephan verbünden, dachte er. Walerans sichtliches Entsetzen darüber, dass ich Kingsbridge in Schutt und Asche gelegt, war nur die Finte, mit der er sich eine gute Verhandlungsposition gesichert hat. Diese Erkenntnis löste eine Welle der Erleichterung in ihm aus, hieß dies doch, dass Waleran nicht grundsätzlich dagegen war, ihm die Absolution zu erteilen! Aber wollte er wirklich wieder das Lager wechseln? Er schwieg und versuchte, in Ruhe darüber nachzudenken.
»Stephan hat den ganzen Sommer über einen Sieg nach dem anderen davongetragen«, fuhr Waleran fort. »Mathilde fleht ihren Ehemann an, ihr aus der Normandie zu Hilfe zu eilen, aber er weigert sich. Das Blatt hat sich zu unseren Gunsten gewendet.«
Schreckliche Aussichten taten sich plötzlich vor William auf: Die Kirche verwehrte ihm die Vergebung seiner Schandtaten; der Vogt klagte ihn des Mordes an; ein siegreicher König Stephan stellte sich hinter den Vogt und die Kirche; er selbst wurde verurteilt und gehängt …
»Folgt meinem Beispiel und hört auf Bischof Henry – der weiß, aus welcher Richtung der Wind weht«, drängte Waleran. »Wenn alles klappt, wird Winchester zur Erzdiözese und Henry Erzbischof von Winchester – gleichrangig mit dem Erzbischof von Canterbury. Und wenn Henry stirbt, wer weiß? Gut möglich, dass ich dann Erzbischof werde. Und danach … nun ja, es gibt bereits englische Kardinäle – eines Tages wird es vielleicht sogar einen englischen Papst geben …«
Der unverhüllte Ehrgeiz, der sich plötzlich auf den ansonsten so steinernen Zügen Walerans malte, schlug William trotz seiner eigenen Befürchtungen in Bann. Waleran als Papst? Nichts war unmöglich. Aber was zählte, waren die unmittelbaren Folgen seiner Ambitionen, und es war nicht schwer zu erkennen, dass er selbst das Unterpfand in Walerans Ränkespiel darstellte. Waleran hatte durch seine Fähigkeit, ihn und seine Ritter aus Shiring jederzeit der einen oder anderen Seite in diesem Krieg zuzuführen, bei Bischof Henry an Ansehen gewonnen. Das ist also der Preis, den ich dafür zahlen muss, dass die Kirche zu meinen Taten beide Augen zudrückt, dachte William. »Soll das vielleicht heißen …« Seine Stimme klang heiser. Er räusperte sich und nahm einen zweiten Anlauf. »Soll das vielleicht heißen, dass Ihr mir die Beichte abnehmt, wenn ich wieder zu Stephan überlaufe und ihm Treue schwöre?«
Das Glitzern in Walerans Augen erlosch, und sein Gesicht verwandelte sich wieder in eine steinerne Maske. »Genau das wollte ich damit sagen«, erwiderte er.
William blieb eigentlich keine Wahl, aber schließlich – welchen Grund hatte er, sich zu weigern? Als es so aussah, als trüge Mathilde den Sieg davon, war er auf ihre Seite übergewechselt, und nun, da Stephan anscheinend die Oberhand hatte, war er nur allzu gern bereit, sich wieder auf dessen Seite zu schlagen. Und überdies hätte er zu allem Ja und Amen
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