Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Widerstand versiegte. Sie lag nur noch da und schrie und schrie und schrie.
Philip war im Erdgeschoss unterhalb der Klosterküche und zählte mit Cuthbert Whitehead Geld, als er den Lärm hörte. Stirnrunzelnd sahen sie sich an und erhoben sich schließlich, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Sie waren kaum durch die Tür getreten, als sie sich auch schon inmitten eines Aufruhrs befanden.
Philip sah mit fassungslosem Entsetzen, wie die Leute kopflos hin und her liefen, sich schoben und stießen, hinschlugen und über Gestürzte hinwegstiegen. Männer und Frauen brüllten, Kinder heulten, die Luft war voller Rauch. Alle Welt schien bestrebt, dem Klostergelände zu entfliehen. Außer dem Haupttor gab es nur noch einen Ausgang, und zwar den schmalen Spalt zwischen den Küchengebäuden und der Mühle. Dort war zwar keine Mauer, aber ein tiefer Graben, der das Wasser aus dem Mühlteich für die Brauerei heranführte. Philip wollte die Leute vor der Gefahr warnen, aber vergeblich: Niemand hörte hin.
Der Grund des Tumults war offensichtlich ein Feuer, und zwar ein sehr großes. Die Luft bestand nur noch aus Qualm und Rauch. Philip bekam es mit der Angst zu tun. Bei so vielen Menschen auf so engem Raum konnte es leicht zu zahlreichen Toten kommen. Was war zu tun?
Zunächst einmal musste er sich ein genaues Bild der Lage machen. Er hetzte die Stufen zur Küchentür hinauf, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Was er sah, erfüllte ihn mit schierem Grauen.
Ganz Kingsbridge stand in Flammen!
Ein verzweifelter Schreckensschrei entfuhr ihm.
Wie war es nur dazu gekommen?!
Dann fiel sein Blick auf die Reiter, die mit brennenden Fackeln durch die Menge preschten, und er begriff, dass es sich nicht um einen Unfall handelte. Sein erster Gedanke war, dass eine Schlacht zwischen den beiden Kriegsparteien entbrannt sein musste, in die Kingsbridge aus unerfindlichen Gründen verwickelt worden war. Dann fiel ihm auf, dass die Bewaffneten es auf die Bürger von Kingsbridge abgesehen hatten. Das war keine Schlacht, das war ein Massaker!
Ein blonder, massiger Mann geriet in sein Blickfeld, der sein riesiges Schlachtross rücksichtslos durch die Menschenmenge trieb. William Hamleigh.
Diese unschuldigen Menschen wurden mutwillig gemetzelt, diese umfassende Zerstörung der Stadt war Absicht – aus Habgier und Stolz! Der Gedanke trieb Philip schier zum Wahnsinn. Aus Leibeskräften brüllte er diesem Unmenschen zu: »Ich habe Euch erkannt, William Hamleigh!«
William hatte seinen Namen über die Schreie der Menge hinweg gehört. Er zügelte sein Pferd und sah in Philips Richtung.
»Dafür werdet Ihr zur Hölle fahren!«, schrie Philip laut und deutlich.
Nackte Mordlust spiegelte sich in Williams Zügen. An diesem Tag zeitigte nicht einmal die Androhung dessen, was er sonst am meisten fürchtete, Wirkung. Er war wie besessen. Er schwenkte seine Fackel wie eine Fahne. »Dies ist die Hölle, Mönch!«, brüllte er zurück, riss sein Pferd herum und ritt davon.
Mit einem Mal waren sie alle verschwunden, die Reiter wie die panische Menge. Jack entließ Aliena aus seiner Umklammerung und stand auf. Seine rechte Hand fühlte sich taub an – richtig, er hatte den Schlag, der Alienas Kopf gegolten hatte, damit abgefangen. Er war froh über den Schmerz; hoffentlich würde er eine Weile lang vorhalten und ihn an den Vorfall erinnern.
Das Lagerhaus glich einem Inferno, und ringsum brannten kleine Feuer. Der Boden war mit Leibern übersät – ein paar rührten sich, andere bluteten, wieder andere lagen schlaff und unbeweglich da. Die Grabesstille wurde nur vom Knistern der Flammen unterbrochen. Der Mob war irgendwie entkommen und hatte die Toten und Verwundeten zurückgelassen. Jack fühlte sich benommen. Er hatte noch nie ein Schlachtfeld gesehen, aber so ähnlich, dachte er, muss es aussehen.
Aliena brach in Tränen aus. Jack legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter. Sie schob sie weg. Er hatte ihr das Leben gerettet, aber das war ihr völlig gleichgültig: Ihr ging es einzig und allein um ihre verdammte Wolle, die nun unwiderruflich in Flammen aufgegangen war. Einen Moment lang betrachtete er sie traurig. Ihr Haar war fast vollständig versengt, und sie sah überhaupt nicht mehr schön aus; aber er liebte sie. Es quälte ihn, dass sie so verzweifelt war und er ihr nicht helfen konnte.
Nun würde sie bestimmt nicht wieder versuchen, ins Lagerhaus zu gelangen. Er machte sich Sorgen um den Rest seiner Familie und
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