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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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ließ Aliena zurück, um nach ihnen zu suchen.
    Sein Gesicht schmerzte. Er berührte seine Wange mit der Hand und zuckte zusammen. Auch er musste sich verbrannt haben. Er betrachtete die auf dem Boden liegenden Leiber. Er hätte gerne etwas für die Verwundeten getan, aber wo sollte er beginnen? Er sah sich nach bekannten Gesichtern um und hoffte, keine zu finden. Mutter und Martha hatten sich in den Kreuzgang gerettet – sie müssen der Meute entkommen sein, dachte er. Ob Tom Alfred noch rechtzeitig gefunden hat? Er wandte sich dem Kloster zu. Da sah er Tom.
    Sein Stiefvater lag in voller Länge auf dem schlammigen Grund. Von Leben keine Spur. Sein Gesicht war kenntlich, ja, wenn man einmal von der Partie der Augenbrauen absah, sogar friedlich zu nennen; aber seine Stirn war offen und der Schädel völlig zerschmettert. Jack konnte es kaum fassen. Tom war tot – unmöglich! Aber dann – dieser Körper da konnte unmöglich Leben in sich haben. Er sah weg und dann wieder hin. Es war Tom, und er war tot.
    Jack kniete sich neben der Leiche nieder. Es drängte ihn, etwas zu tun, etwas zu sagen, und zum ersten Mal verstand er, warum die Menschen für ihre Toten beteten. »Mutter wird dich schrecklich vermissen«, sagte er. Die bösen Worte fielen ihm wieder ein, die er Tom an den Kopf geworfen hatte, damals, als Alfred ihn fast umgebracht hatte. »Das war ja gar nicht wahr«, sagte er, und die Tränen liefen ihm nur so übers Gesicht. »Du hast mich nicht vernachlässigt. Du hast dich um mich gekümmert und mich ernährt, und du hast meine Mutter glücklich gemacht, wirklich und wahrhaft glücklich.« Aber das ist noch nicht alles, dachte er. Was Tom mir gegeben hat, sind nicht bloß Kleinigkeiten wie ein Dach über dem Kopf und das tägliche Brot. Tom hat mir etwas Einzigartiges gegeben; etwas, das kein anderer, nicht einmal mein eigener Vater, mir geben konnte, etwas, das eher einer Passion gleichkommt, einer Aufgabe, einer Kunst, einem Sinn fürs ganze Leben. »Du hast mir die Kathedrale gegeben«, flüsterte Jack dem Toten zu. »Dafür danke ich dir.«

Buch IV
    1142-1145

Kapitel XI
    Philips wütende Prophezeiung beraubte William jeglichen Triumphgefühls, und statt Zufriedenheit über die vollbrachte Tat zu empfinden, stand er nun Todesängste aus, dass er tatsächlich in die Hölle käme.
    Mit seiner frechen Antwort: »Dies ist die Hölle, Mönch!«, hatte er sich zwar gegen den Prior behauptet, aber das war nur der Hitze des Gefechts zuzuschreiben. Nun, da alles vorbei war, er seine Männer aus dem Flammenmeer der brennenden Stadt geführt, Pferde und Herzschlag sich beruhigt hatten, fand er die Zeit, über seinen Anschlag nachzudenken, zu erwägen, wie viele Menschen er wohl auf dem Gewissen hatte – verwundet, verbrannt, erschlagen –, und da fiel ihm Philips zorniges Gesicht wieder ein, der Finger, mit dem der Prior geradewegs in die tiefsten Tiefen der Erde zu weisen schien und dabei die schicksalsschweren Worte sprach: »Dafür werdet Ihr zur Hölle fahren!«
    Gegen Abend war seine Stimmung auf dem Nullpunkt angelangt. Seine Krieger wollten mit ihm über den Überfall reden, die Höhepunkte im Nachhinein noch einmal durchleben und in Erinnerungen an die Metzelei schwelgen, aber seine Stimmung steckte sie alsbald an, und sie versanken in düsteres Schweigen. Die Nacht verbrachten sie im Gutshaus eines der größeren Pächter Williams, und beim Abendessen betranken sich die Männer grimmig entschlossen bis zur Besinnungslosigkeit. Der Pächter, der die Bedürfnisse von Kriegern nach einer Schlacht genau zu kennen schien, hatte vorsorglich ein paar Huren aus Shiring kommen lassen, doch ihr Geschäft ging nur schleppend. William lag die ganze Nacht wach vor lauter Angst, er könne im Schlaf sterben und direkt zur Hölle fahren.
    Am nächsten Morgen kehrte er nicht nach Earlscastle zurück, sondern begab sich statt dessen zu Bischof Waleran. Der war zwar bei seiner Ankunft nicht da, aber Dechant Baldwin teilte mit, er werde im Laufe des Nachmittags erwartet. William wartete in der Kapelle auf ihn, glotzte unentwegt auf das Kreuz über dem Altar und zitterte am ganzen Leibe, trotz der sommerlichen Hitze. Als Waleran erschien, hätte er ihm am liebsten die Füße geküsst.
    Der Bischof kam, angetan mit schwarzen Gewändern, in die Kapelle gestürmt und sagte kalt: »Was habt Ihr hier zu suchen?«
    William rappelte sich auf, krampfhaft bemüht, seine jämmer­liche Angst hinter einer selbstbeherrschten

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