Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
immer so viel Pech haben musste. Sie hatte sich doch redlich Mühe gegeben, aus der schlechten Ehe das Beste zu machen – doch da saß sie nun und war schwanger von einem anderen Mann, nach einem einzigen Liebesakt!
Aber Selbstmitleid half nun auch nicht weiter. Sie musste eine Entscheidung treffen.
Sie legte eine Hand auf ihren Bauch. Kein Wunder, dass sie zugenommen, dass ihr ständig übel war, dass sie sich so matt fühlte! Da drin entstand ein kleiner Mensch. Aliena lächelte. Wie schön es sein würde, ein Kind zu haben!
Sie schüttelte den Kopf. Schön? Ach was, dachte sie, Alfred wird wie ein gereizter Stier reagieren. Er ist imstande, mich aus dem Haus zu werfen, ja ich traue ihm sogar zu, dass er mich, das Kind oder gar uns beide tötet … Eine entsetzliche Vision suchte sie heim: Alfred könnte versuchen, das Kind schon vor der Geburt zu verletzen, indem er meinen Bauch mit Fußtritten traktiert … Sie wischte sich die Stirn: Der kalte Schweiß war ihr ausgebrochen.
Ich werde es ihm nicht sagen, dachte sie.
Ließ sich die Schwangerschaft geheim halten? Vielleicht. Sie hatte sich ohnehin schon angewöhnt, formlose, sackartige Gewänder zu tragen. Und vielleicht wurde sie gar nicht so übermäßig dick – bei manchen Frauen war das so. Zudem war Alfred nicht gerade der Aufmerksamste. Vor den erfahrenen Frauen in der Stadt ließ sich eine Schwangerschaft kaum verbergen, aber man konnte sich wohl einigermaßen darauf verlassen, dass sie ihr Wissen für sich behielten oder doch wenigstens nicht mit dem Mannsvolk darüber redeten. Ja, dachte Aliena, es kann klappen. Alfred wird erst von dem Kind erfahren, wenn es geboren ist.
Und dann? Nun, zumindest hatte das kleine Würmchen erst einmal wohlbehalten das Licht der Welt erblickt und wäre nicht schon im Mutterleib totgetreten worden. Was blieb, war Alfreds Gewissheit, dass das Kind nicht von ihm war. Ganz sicher wird er das arme Ding hassen, dachte sie, gleichsam als ständige Erinnerung an seine fehlende Manneskraft. Er wird mir und meinem Kind das Leben zur Hölle machen.
Aliena mochte noch nicht so weit vorausdenken. Zunächst kam es darauf an, die nächsten sechs Monate unbeschadet über die Bühne zu bringen. Und bis zur Geburt blieb ihr noch genug Zeit, sich für die Zeit danach etwas auszudenken.
Ob es wohl ein Junge oder ein Mädchen wird, fragte sie sich. Sie stand auf, in der Hand das Kästchen mit den sauberen Tüchern für Marthas erste Monatsblutung. Arme Martha, dachte sie müde, das alles steht dir auch noch bevor.
Den ganzen Winter lang grübelte Philip über seinen Sorgen.
Ellens heidnischer Fluch unter dem Dach der Kirche, herausgeschrien während der Trauung, hatte ihn mit Entsetzen erfüllt. Er war nun überzeugt davon, dass sie eine Hexe war, und bedauerte es zutiefst, dass er damals, als sie die Ordensregel des heiligen Benedikt auf so abscheuliche Weise besudelt hatte, so dumm gewesen war, ihr zu vergeben. Er hätte wissen müssen, dass eine Frau, die zu solchen Handlungen imstande war, niemals echte Reue empfand. Es gab allerdings auch einen erfreulichen Aspekt an der Geschichte: Ellen hatte Kingsbridge wieder einmal verlassen und ward seitdem nicht mehr gesehen. Philip hoffte inständig, sie würde sich nie wieder blicken lassen.
Aliena war in ihrer Ehe mit Alfred sichtlich unglücklich, doch Philip glaubte nicht, dass der Anlass dafür in Ellens Fluch zu sehen war. Zwar wusste Philip so gut wie nichts über die Probleme des ehelichen Zusammenlebens, doch konnte ihm nicht verborgen bleiben, dass eine so gescheite und lebhafte Person wie Aliena mit einem schwerfälligen, engstirnigen Tölpel wie Alfred einfach nicht glücklich werden konnte – ob sie nun Mann und Frau waren oder nicht.
Es wäre natürlich besser gewesen, wenn Aliena Jack geheiratet hätte, das sah Philip inzwischen längst ein. Er machte sich Vorwürfe, dass er sich von seinen eigenen Plänen für den Jungen hatte blenden lassen. Jack war einfach nicht für das Klosterleben geschaffen, und es war ein Fehler gewesen, ihn dazu zu nötigen. Nun musste Kingsbridge ohne ihn, seine Ideen und seine Tatkraft auskommen.
Seit der Katastrophe am Tag des Wollmarktes war im Grunde alles schiefgegangen. Die Schulden des Klosters waren höher denn je. Philip hatte aus Geldmangel die Hälfte der Bauleute entlassen müssen, und dementsprechend war die Einwohnerzahl der Stadt gesunken. Dies wiederum hatte zur Folge, dass der Sonntagsmarkt kleiner wurde und die
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