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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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fielen die Erzählungen von Pilgern ein, die in fremden Ländern gewesen waren. Schon glaubte sie Jack zu sehen, wie er im gleißenden Sonnenlicht der Wüste Steine für eine Sarazenenfestung meißelte, und sie fragte sich: Ob er jetzt wohl an mich denkt?
    Hufgetrappel unterbrach ihre Tagträumerei. Kurz darauf erschien, sein Pferd am Zügel haltend, ihr Bruder Richard in der Tür. Ross und Reiter waren durchnässt und von oben bis unten mit Schlamm bespritzt. Aliena brachte ihm warmes Wasser von der Feuerstelle, sodass er sich wenigstens Gesicht und Hände waschen konnte, und stellte, während Martha das Pferd in den Hinterhof führte, Brot und kaltes Rindfleisch auf den Tisch. Dann füllte sie ihrem Bruder einen Becher mit Bier.
    »Was tut sich im Krieg?«, fragte Alfred. »Gibt’s was Neues?«
    Richard trocknete sich das Gesicht ab und ließ sich zum Frühstück nieder. »Wir haben eine Niederlage erlitten«, sagte er. »Bei Wilton.«
    »Wurde Stephan gefangen genommen?«
    »Nein, er ist entkommen, genau wie Mathilde kürzlich aus Oxford. Jetzt sitzt Stephan in Winchester und Mathilde in Bristol. Sie lecken ihre Wunden und versuchen, ihre gegenwärtigen Herrschaftsgebiete zu konsolidieren.«
    Immer dasselbe, dachte Aliena. Die eine oder die andere Seite erringt einen bedeutungslosen Sieg oder erleidet eine bedeutungslose Niederlage. Und nichts deutet darauf hin, dass dieser Krieg einmal ein Ende findet.
    Richard sah sie an. »Du wirst dick«, stellte er fest.
    Sie nickte, gab aber keine Antwort. Inzwischen war sie im achten Monat schwanger, und niemand wusste davon. Ein Glück, dass es noch immer so kalt war – so fiel es nicht auf, dass sie mehrere locker fallende Wintergewänder übereinander trug, die ihre Figur verbargen. In ein paar Wochen würde das Kind auf die Welt kommen – und die Stunde der Wahrheit schlagen. Aliena wusste noch immer nicht, wie sie sich nach der Geburt verhalten sollte.
    Die Glocke läutete und rief die Bevölkerung der Stadt zur Pfingstmesse. Alfred schlüpfte in seine Stiefel und sah Aliena auffordernd an.
    »Ich glaube, ich bleibe lieber hier«, sagte sie. »Mir geht’s einfach zu schlecht.«
    Gleichgültig zuckte er mit den Schultern und wandte sich ihrem Bruder zu. »Es wäre schön, wenn du mitkämst, Richard. Kaum einer wird heute fehlen. Es ist der erste Gottesdienst in der neuen Kirche.«
    Richard war überrascht. »Ihr habt die Decke schon eingezogen? Ich dachte, Ihr würdet noch das ganze Jahr dazu brauchen.«
    »Wir haben uns beeilt. Prior Philip versprach den Männern einen zusätzlichen Wochenlohn, falls sie bis heute fertig würden. Erstaunlich, wie schnell sie arbeiten konnten! Es war allerdings sehr knapp; das Gerüst haben wir erst heute morgen abgenommen.«
    »Ja, das muss ich sehen«, sagte Richard. Er stopfte sich den letzten Bissen in den Mund und stand auf.
    »Soll ich lieber bei dir bleiben?«, fragte Martha Aliena.
    »Nein, danke. Ich komme schon zurecht. Geh du nur. Ich werde mich ein bisschen hinlegen.«
    Die drei schlüpften in ihre Mäntel und verließen das Haus. Aliena nahm den heißen Stein in seiner Lederhülle mit ins Hinterzimmer. Dort legte sie sich auf Alfreds Bett und schob sich den Stein unter den Rücken. Sie war seit ihrer Heirat furchtbar träge geworden. Früher hatte sie nicht nur einen Haushalt, sondern auch den erfolgreichsten Wollhandel der ganzen Grafschaft geführt – mittlerweile wuchs ihr schon Alfreds Haushalt über den Kopf, obwohl sie sonst gar nichts mehr zu tun hatte.
    Eine Zeit lang lag sie still da, tat sich selber leid und wäre am liebsten eingeschlafen. Da spürte sie plötzlich, wie eine warme Flüssigkeit über die Innenseite ihrer Schenkel rann. Sie erschrak. Im ersten Moment fürchtete sie, unfreiwillig Wasser zu lassen, doch da verwandelte sich das Rinnsal in eine Sturzflut, und sie wusste Bescheid. Wie der Blitz fuhr sie hoch und setzte sich kerzengerade auf. Ihre Fruchtblase war geplatzt – das Kind kam!
    Jähe Furcht überfiel sie. Ich brauche Hilfe! So laut sie konnte rief sie nach ihrer Nachbarin: »Mildred! Mildred, komm!« Aber nichts rührte sich – die Leute waren ja alle in der Kirche.
    Der Fruchtwasserschwall war nun beinahe versiegt. Alfreds Bett troff vor Nässe. Er wird toben, dachte sie voller Angst – und nicht nur deshalb. Er wird außer sich sein, weil er sofort weiß, dass das Kind nicht von ihm ist … O mein Gott, was soll ich nur tun?
    Die Schmerzen im Rücken kehrten wieder. Aliena

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