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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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verschiedensten Stellen des Deckengewölbes Risse. Ein gewaltiger Stein löste sich aus dem Mauerwerk und taumelte langsam herab. Die Menschen fingen an zu schreien und versuchten, aus der Falllinie zu kommen. Noch ehe Philip feststellen konnte, ob jemand verletzt war, lösten sich weitere Steine und stürzten in die Menge. Die Gemeinde geriet in Panik. Jeder versuchte, den herabfallenden Steinen auszuweichen, stieß rücksichtslos die anderen beiseite und trampelte über die zu Boden Gestürzten. Ist das vielleicht eine neue Teufelei des unberechenbaren William Hamleigh, dachte Philip, doch dann sah er den frischgebackenen Grafen in vorderster Reihe der Gläubigen. Wild schlug er um sich, um dem Verhängnis zu entkommen – nein, so etwas hätte William Hamleigh sich niemals angetan …
    Die meisten Menschen hatten sich inzwischen umgedreht und versuchten, durch die noch offene Westflanke der Kathedrale zu entkommen. Doch ausgerechnet der Westteil brach in sich zusammen, das dritte Joch. Im zweiten Joch, wo Philip stand, schien das Gewölbe zu halten, und hinter ihm, im ersten Joch, wo die Mönche Aufstellung genommen hatten, wurden die Mauern von der soliden Ostfassade zusammengehalten.
    Der kleine Jonathan und Johnny Eightpence kauerten im hintersten Winkel des nördlichen Seitenschiffs, wo sie nach Philips Dafürhalten noch am sichersten waren. Was konnte der Prior noch tun? Er musste versuchen, so viele Schafe aus seiner Herde wie möglich in Sicherheit zu bringen. »Kommt hierher!«, schrie er. Doch ob sie ihn hörten oder nicht – niemand achtete auf ihn.
    Im dritten Joch kippte der obere Teil der Mauern nach außen um und stürzte ins Freie. Dann brach das gesamte Deckengewölbe auseinander, große und kleine Steine schossen durch die Luft und kamen wie ein tödlicher Hagelsturm über die verzweifelte Gemeinde. Pfeilschnell sprang Philip vor und packte einen Mann am Ärmel. »Zurück!«, brüllte er und stieß ihn auf die Ostmauer zu. Der verblüffte Mann sah die Mönche an der Mauer kauern und hastete auf sie zu. Philip schnappte sich zwei Frauen und beförderte sie auf dieselbe Weise aus der Gefahrenzone. Die Umstehenden durchschauten seine Absicht und schlossen sich ohne weitere Aufforderung den beiden Frauen an. Weitere Menschen folgten, und alsbald strebten die meisten Gläubigen, die vorne gestanden hatten, ebenfalls auf die Ostmauer zu. Philip riskierte einen Blick in die Höhe, nur um zu seinem namenlosen Schrecken erkennen zu müssen, dass auch das zweite Joch nicht mehr zu retten war: Auch dort schlängelten sich Risse kreuz und quer durch den Lichtgaden und sprengten das Gewölbe über seinem Kopf. Rastlos trieb er immer mehr Menschen in die Sicherheit des Ostflügels, trieb sie wie ein Schäfer seine Herde in den Pferch. Ein Schauer aus Mörtelbrocken ging über seinem geschorenen Haupt nieder, dann prasselten auch schon die ersten Steine herunter. Die Menschen jagten auseinander. Manche suchten in den Seitenschiffen Zuflucht, andere – unter ihnen Bischof Waleran – drängten sich an die Ostwand, wieder andere versuchten noch immer, kletternd und kriechend über geborstene Steine und am Boden liegende Leiber die offene Westseite zu erreichen. Ein Stein streifte Philip an der Schulter; er war nicht schwer getroffen, aber es tat weh. Er legte die Hände über den Kopf und blickte erregt um sich: Allein stand er jetzt im zweiten Joch, alle anderen drängten sich am Rand der Gefahrenzone zusammen. Er konnte nichts mehr tun. So rannte er zur Ostseite hinüber und brachte sich selbst in Sicherheit.
    Als er sich umdrehte und nach oben sah, stürzte gerade der Lichtgaden im zweiten Joch ein, und das Deckengewölbe fiel in den Altarraum – eine exakte Wiederholung dessen, was im dritten Joch geschehen war. Diesmal allerdings gab es weniger Opfer zu beklagen, weil die meisten Menschen hatten fliehen können und weil, anders als im dritten Joch, die Decken der Seitenschiffe zu halten schienen. Im Ostflügel drückten sich die Leute so eng wie irgend möglich an die Mauer. Aller Augen waren an die Decke gerichtet; alle fürchteten, auch hier, im ersten Joch, könne das Gewölbe nachgeben und auf sie herabstürzen. Das Getöse des fallenden Mauerwerks schien langsam leiser zu werden, doch war die Luft erfüllt von Staubwolken und nachrutschenden kleineren Steinen und Mörtelresten, sodass vorübergehend niemand etwas sehen konnte. Philip hielt den Atem an. Schließlich legte sich der Staub, die Luft

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