Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
schließe ich meine Frauen nicht weg, wie es manche meiner muselmanischen Brüder tun. Aber ich bin auch Araber, und das heißt, dass ich ihnen nicht so viele … vergebt mir: Zügellosigkeiten gestatte, wie sie anderen Frauen erlaubt sein mögen. In meinem Hause können sie meine männlichen Gäste kennenlernen und mit ihnen sprechen. Ich habe auch nichts dagegen, wenn sich hie und da eine Freundschaft entwickelt. Doch sobald sich die Freundschaft vertieft, wie es zwischen jungen Menschen ganz natürlich ist, erwarte ich von dem jungen Mann, dass er sich an die Gepflogenheiten hält. Alles andere müsste ich als Beleidigung auffassen.«
»Selbstverständlich«, sagte Jack.
»Ich wusste, dass Ihr mich richtig verstehen würdet.« Raschid erhob sich und legte eine Hand auf Jacks Schulter – eine Geste der Zuneigung. »Leider bin ich nicht mit einem Sohn gesegnet. Hätte ich einen, so wäre er Euch sicher ähnlich.«
»Aber dunkler, will ich hoffen«, gab Jack schlagfertig zurück.
Einen Moment lang sah Raschid ihn verständnislos an, dann brach er in brüllendes Gelächter aus, das die anderen Gäste im Innenhof aufschrecken ließ. »Richtig!«, japste er erheitert. »Dunkler!« Dann verschwand er, noch immer prustend vor Lachen, im Innern des Hauses.
Die älteren Gäste begannen sich zu verabschieden. Jack saß allein in der kühler werdenden Nachmittagsluft und überdachte, was Raschid ihm gleichsam durch die Blume zu verstehen gegeben hatte. Kein Zweifel, es war ein Angebot gewesen: Wenn er, Jack, Ayscha heiratete, so war Raschid gewillt, ihn als Baumeister für die Reichen in Toledo ins Geschäft zu bringen. Auch die Warnung war unmissverständlich: Wenn er Ayscha nicht heiraten wollte, so sollte er sich künftig von ihr fernhalten. Die Manieren der Spanier mochten geschliffener sein als die der Engländer – doch wenn es nötig war, wussten sie ihre Meinung durchaus deutlich zu machen.
Als Jack nun genauer über das Ganze nachdachte, fand er es beinahe unglaublich. Bin das wirklich ich, dachte er, Jack Jackson, Bastard eines Gehenkten, aufgewachsen im Walde, Steinmetzlehrling und entflohener Mönch? Hat man tatsächlich mir angeboten, die schöne Tochter eines reichen arabischen Kaufmanns zu heiraten, und will mir obendrein noch meinen Lebensunterhalt als Baumeister in dieser Stadt der Düfte sichern? Es klingt zu schön, um wahr zu sein! Und dabei mag ich das Mädchen sogar!
Langsam ging die Sonne unter. Der Innenhof lag bereits im Schatten. Unter der Arkade saßen nur noch zwei Personen – er selbst und Josef. Gerade, als Jack sich zu fragen begann, ob dahinter vielleicht ein Plan steckte, tauchten – wie als Beweis für seine Vermutung – Raya und Ayscha auf. Trotz ihrer strengen Ansichten über zärtliche Beziehungen zwischen jungen Mädchen und jungen Männern wusste ihre Mutter mit Sicherheit genau, was vor sich ging – und Raschid vermutlich ebenfalls. Sie gewährten den Verliebten ein paar Momente der Zweisamkeit, doch ehe es ernst werden konnte, würde die Mutter auch schon im Innenhof erscheinen, die Erzürnte spielen und die Mädchen ins Haus schicken.
Raya stürzte sich sofort in Josefs Arme. Eng umschlungen fingen die beiden an, sich zu küssen. Als Ayscha auf ihn zukam, stand Jack auf. Sie trug ein bodenlanges weißes Kleid aus Kattun – ein Stoff, der aus Ägypten kam und den Jack erst in Spanien kennengelernt hatte; er war weicher als Wolle und glatter als Leinen. Bei jeder Bewegung schmiegte er sich um Ayschas Glieder, und seine weiße Farbe schien im Dämmerlicht zu leuchten. Ihre braunen Augen wirkten dadurch beinahe schwarz. Sie blieb vor Jack stehen und grinste wie ein Kobold. »Was hat er zu dir gesagt?«, fragte sie.
Jack erriet, dass sie ihren Vater meinte. »Er bot mir an, mich als Baumeister ins Geschäft zu bringen.«
»Was für eine schäbige Mitgift!«, rief sie erbost. »Ich kann es kaum glauben! Er hätte dir wenigstens auch Geld anbieten können!«
Die traditionelle arabische Umschweifigkeit lag Ayscha nicht, dazu war sie zu ungeduldig. Jack fand ihre Offenheit erfrischend. »Eigentlich mag ich keine Häuser bauen«, sagte er.
Mit einem Mal wurde sie ernst. »Magst du mich?«
»Das weißt du doch.«
Sie machte einen Schritt vorwärts, hob den Kopf, schloss die Augen, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Ein Duft nach Ambra und Moschus umfing ihn. Sie öffnete den Mund und stieß ihre Zunge spielerisch zwischen seine Lippen. Seine Arme
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