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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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unnötige Verzögerung, und man vertraute auf die eigenen Kräfte.
    Angstvoll spähte Aliena über die Felder. Nichts war zu sehen.
    »Ihr habt sie aber ganz schön abgehängt«, sagte Richard.
    »Was wollen diese Banditen ausgerechnet hier ?«, fragte Aliena.
    »Sie haben’s auf die Vorratslager der Priorei abgesehen«, antwortete Ellen. »Das ist weit und breit der einzige Fleck, wo es noch größere Mengen Lebensmittel gibt.«
    »Ach so.« Die Outlaws hungerten. Viele von ihnen waren erst durch William zu dem geworden, was sie waren: Er hatte sie enteignet oder vertrieben. Nun lebten sie von Diebstahl und Raub, weil sie anders nicht überleben konnten. In den unbewehrten Dörfern gab es wenig oder gar nichts zu stehlen – die Bauern hatten ja selbst kaum etwas zu beißen. Nur die Scheuern der Landbesitzer waren noch gefüllt.
    Gerade hatte sich Aliena diesen Sachverhalt klargemacht, da sah sie auch schon die Outlaws kommen.
    Sie kamen aus dem Wald wie Ratten aus einem brennenden Heuschober, überall, meist einzeln, und sie schwärmten aus über das freie Feld vor der Stadt, zwanzig, dreißig, fünfzig, hundert von ihnen, eine kleine Armee. Wahrscheinlich hatten sie darauf spekuliert, die Stadt zu überraschen und durch die offenen Tore hereinzukommen. Dass sie den Angriff nicht abgeblasen hatten, obwohl die Sturmglocken ihnen gesagt haben mussten, dass die Stadt gewarnt war, verriet das ganze Ausmaß ihrer aus Hunger geborenen Verzweiflung. Ein paar Bogenschützen schossen erste Pfeile auf die Angreifer ab, doch Richard rief ihnen zu: »Wartet! Verschwendet nicht eure Pfeile!«
    Beim letzten Überfall auf Kingsbridge war Tommy achtzehn Monate alt gewesen, und Aliena ging schwanger mit Sally. Damals hatte sie zusammen mit den Kindern und den alten Leuten in der Priorei Zuflucht gesucht. Diesmal wollte sie auf den Zinnen bleiben und ihren eigenen Beitrag leisten zur Abwehr der Gefahr. Und weil auch die meisten anderen Frauen so dachten wie sie, befanden sich auf den Mauern fast so viele Frauen wie Männer.
    Obwohl sie gut gerüstet waren, fühlte Aliena sich innerlich hin und her gerissen, und ihre Bedenken wuchsen, je näher die Angreifer kamen. Zum Kloster war es nicht weit – aber es war denkbar, dass die Angreifer irgendwo anders den Durchbruch schafften und die Priorei eher erreichten als sie. Und was ist, wenn ich verletzt werde und den Kindern nicht mehr helfen kann, fragte sie sich. Jack und Ellen stehen ebenfalls hier auf der Mauer – wenn wir getötet werden, muss Martha sich allein um Tommy und Sally kümmern … Aliena zögerte; sie konnte sich nicht entscheiden.
    Die Outlaws hatten die Mauern schon fast erreicht. Ein Pfeilhagel ging auf sie nieder, und diesmal gebot Richard den Bogenschützen nicht Einhalt. Die Pfeile hielten blutige Ernte. Die Angreifer waren durch keinerlei Rüstung geschützt, niemand führte sie, und sie verfügten über keinerlei Strategie. Wie eine in Panik geratene Rinderherde stürmten sie gegen die Mauer an, und als es dort nicht weiterging, wussten sie nicht, was tun. Die Verteidiger bombardierten die Outlaws mit schweren Steinen. Einige Angreifer warfen sich gegen das Nordtor und schlugen mit ihren Keulen dagegen – ein hoffnungsloses Unterfangen für jeden, der, wie Aliena, wusste, wie dick das aus massivem Eichenholz bestehende und obendrein eisenbeschlagene Tor war. Sie würden die ganze Nacht brauchen, um es einzuschlagen … Alf Butcher und Arthur Saddler bugsierten inzwischen einen mit kochendem Wasser gefüllten Kessel auf die Zinnen über dem Tor.
    Direkt unterhalb von Aliena bildeten ein paar Outlaws eine menschliche Pyramide. Jack und Richard merkten es sogleich und warfen Steine auf sie hinab. Aliena dachte an ihre Kinder und tat es ihnen nach, und auch Ellen schloss sich ihnen an. Eine Weile widerstanden die Angreifer dem Steinhagel, dann wurde einer von ihnen am Kopf getroffen, und die Pyramide brach zusammen.
    Kurz darauf ertönten vom Nordtor her schrille Schmerzensschreie: Kochendes Wasser ergoss sich über die Köpfe der Männer, die das Tor zu stürmen versuchten.
    Plötzlich entdeckten die Outlaws eine leichtere Beute als die wehrhafte Stadt: ihre eigenen Kameraden. Sie machten sich über die Toten und Schwerverwundeten her. Wer sich noch wehren konnte, wehrte sich nach Kräften, und bald schlugen auch rivalisierende Leichenfledderer aufeinander ein. Ein wahres Schlachten begann, ein widerliches, würdeloses Schlachten. Die Verteidiger brauchten

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