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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Möglichkeit aufgetan. Er war dem Verzweifeln nahe.
    »Wir können woanders anfangen«, sagte Dan und erhob sich. »Und was mich betrifft, so mache ich mich noch heute auf den Weg zu der neuen Arbeitsstelle.«
    »Wovon redet Ihr?«, fragte Jack.
    »Man hat mir angeboten, in Shiring zu arbeiten«, erwiderte Dan mit triumphierender Miene. »An der neuen Kirche dort. Für vierundzwanzig Pence die Woche.«
    Jack sah in die Runde. »Wurde auch noch anderen ein solches Angebot unterbreitet?«
    Fast alle Gesichter senkten sich schamvoll.
    »Allen«, sagte Dan.
    Jack war zutiefst erschüttert. Das war ein raffiniert ausgeheckter Plan. Man hatte ihn nach Strich und Faden hintergangen – mit dem Ergebnis, dass er jetzt dastand wie der letzte Narr. Er hatte die Lage von Grund auf falsch eingeschätzt. Doch seine Betroffenheit verwandelte sich rasch in Zorn, und unwillkürlich suchte er nach einem Sündenbock. »Wer ist der Verräter unter Euch?!«, schrie er die Handwerker an und ließ den Blick von einem Gesicht zum anderen wandern. Nur wenige wagten es, ihm in die Augen zu sehen. Ihre Beschämung war ihm kein Trost. Er fühlte sich wie ein betrogener Liebhaber. »Wer hat Euch dieses Angebot aus Shiring gebracht?«, brüllte er. »Wer soll dort Baumeister werden?« Schließlich blieb sein Blick an Alfred hängen. Mit einem Schlag war ihm alles klar. Ihm wurde übel vor Ekel. »Alfred?«, sagte er verächtlich. »Ihr wollt mich im Stich lassen, um ausgerechnet für Alfred zu arbeiten?«
    Eine Weile lang herrschte Schweigen. Endlich sagte Dan: »Ja, das wollen wir.«
    Jack erkannte, dass er machtlos war. »So sei’s denn«, sagte er bitter. »Ihr alle kennt mich, und Ihr alle kennt meinen Bruder – trotzdem habt Ihr Euch für Alfred entschieden. Ihr alle kennt Prior Philip, und Ihr alle kennt Graf William – trotzdem habt Ihr Euch für William entschieden. Ihr habt Euch diese Suppe selber eingebrockt – nun seht zu, wie Ihr sie auslöffelt.«

Kapitel XV
    »Erzähl mir eine Geschichte«, bat Aliena. »Du erzählst mir so wenig in letzter Zeit. Weißt du noch, früher …«
    »Ich weiß«, sagte Jack.
    Sie waren im Wald, auf ihrem verschwiegenen Plätzchen am Bach. Der Herbst war ins Land gezogen, und so saßen sie nicht am schattigen Ufer, sondern im Schutz eines Felsvorsprungs, wo sie sich ein wärmendes Feuer angezündet hatten. Es war ein grauer, dunkler, kalter Nachmittag, aber sie waren noch warm von der Liebe. Das Feuer prasselte lustig. Unter ihren Mänteln waren sie nackt.
    Jack öffnete Alienas Mantel und berührte ihre Brust. Aliena hielt ihre Brüste für zu groß und war traurig darüber, dass sie nicht mehr so hoch und fest waren wie vor der Geburt der Kinder. Jack schien sich daran glücklicherweise nicht zu stören – er liebte sie wie eh und je, und das half Aliena über ihren Kummer hinweg. »Ich erzähl dir die Geschichte von einer Prinzessin, die hoch oben im Turm einer großen Burg lebte.« Zärtlich berührte er die Spitze ihrer Brust. »Und von einem Prinzen, der hoch oben im Turm einer anderen großen Burg hauste.« Er berührte die andere Brust. »Jeden Tag wechselten sie von den Fenstern ihrer hohen Verliese schmachtende Blicke miteinander und träumten davon, das tiefe Tal, das zwischen ihnen lag, zu überwinden.« Seine Hand, die mittlerweile in der Senke zwischen ihren Brüsten ruhte, glitt unvermittelt abwärts. »Doch jeden Sonntagnachmittag trafen sie sich im dichten Wald!« Aliena fuhr zusammen und quietschte auf – dann musste sie über sich selbst lachen.
    Sonntagnachmittage wie dieser waren goldene Augenblicke in einem Leben, das mehr und mehr aus den Fugen geriet.
    Die schlechte Ernte und der Verfall der Wollpreise hatten eine wirtschaftliche Katastrophe heraufbeschworen. Kaufleute machten bankrott, Städter verloren ihre Arbeit, und die Bauern litten Hunger. Jack erhielt zum Glück noch seinen Lohn; zusammen mit ein paar anderen Handwerkern arbeitete er am ersten Joch des Hauptschiffs. Aliena hatte ihre Schneiderei fast völlig eingestellt.
    Der gesamte Süden Englands war von der Hungersnot erfasst. In der Grafschaft Shiring kam erschwerend hinzu, dass William sehr eigenwillig darauf reagierte.
    Für Aliena war sein Verhalten das Schlimmste an der ganzen Sache überhaupt. Für den Bau seiner neuen Kirche in Shiring, die dem Andenken seiner bösartigen, halb wahnsinnigen Mutter gewidmet war, gierte er nach Bargeld. Er hatte so viele Pächter wegen Zahlungsrückständen von ihren

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