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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Gütern vertrieben, dass einige der besten Ländereien in der Grafschaft inzwischen brachlagen. Der ohnehin schon prekäre Getreidemangel wurde dadurch noch verschlimmert. William hatte, das kam noch hinzu, große Getreidevorräte gespeichert, um die Preise hochzutreiben. Da er nur wenige Angestellte besaß und niemanden zu ernähren hatte, konnte er dank der Hungersnot in kurzer Zeit viel Geld verdienen. Lang­fris­tig führte sein Verhalten jedoch zu nicht wiedergutzumachenden Schäden auf den Gütern und drohte, die Hungersnot zum Dauerzustand werden zu lassen. Aliena musste immer wieder daran denken, wie Shiring unter der Herrschaft ihres Vaters ausgesehen hatte – eine reiche Grafschaft mit fruchtbaren Feldern und prosperierenden Städten und Dörfern. Die Erinnerung an jene Zeiten brach ihr fast das Herz.
    Einige Jahre lang war das Gelübde, das der sterbende Vater ihr und ihrem Bruder abgenommen hatte, nahezu in Vergessenheit geraten. Mit der Ernennung Williams zum Grafen und der Gründung ihrer eigenen Familie war das Ziel, die Grafschaft für Richard zurückzugewinnen, in weite Ferne gerückt. Richard hatte sich als Führer der Stadtwache ein Auskommen geschaffen und sogar ein Mädchen aus der Stadt geheiratet. Leider hatte sich nach einer Weile herausgestellt, dass es um die Gesundheit seiner Frau nicht zum besten bestellt war, und sie war im vergangenen Jahr kinderlos gestorben.
    Seit Beginn der Hungersnot dachte Aliena wieder öfter an die Grafschaft und das Gelübde. Sie wusste, dass Richard, wäre er Graf von Shiring, mit ihrer Hilfe eine Menge zur Linderung der Hungersnot hätte tun können. Aber es war alles nur Träumerei: William stand bei König Stephan, der im Bürgerkrieg mittlerweile die Oberhand gewonnen hatte, hoch in Gunsten, und weit und breit sprach nichts für eine Änderung.
    Auf der heimlichen Lichtung im Wald waren all diese Kümmernisse und Sorgen wie fortgeblasen, wenn Aliena und Jack im Gras lagen und sich liebten. Vom ersten Tag an waren sie wie besessen voneinander gewesen – nie würde Aliena vergessen, wie erschrocken sie anfangs über ihre eigene Lust gewesen war. Inzwischen war sie dreiunddreißig und durch die Geburten um die Hüften herum etwas breiter geworden, auch war ihr Bauch nicht mehr so flach und straff wie ehedem – und doch war Jack noch immer so wild auf sie, dass sie sich Sonntag für Sonntag drei- bis viermal hintereinander liebten.
    Jacks scherzhafte Geschichte vom dichten Wald verwandelte sich nun in herrliche, wollüstige Zärtlichkeit. Aliena zog sein Gesicht an sich, um ihn zu küssen … Doch da hörten sie auf einmal eine Stimme.
    Sie erstarrten. Ihre Lichtung lag ein gutes Stück von der Straße entfernt im Dickicht. Noch nie hatte jemand sie hier gestört, allenfalls mal ein unvorsichtiger Hirsch oder ein vorwitziger Fuchs. Sie hielten den Atem an und lauschten. Wieder diese Stimme – diesmal gefolgt von einer anderen. Als sie noch genauer hinhörten, vernahmen sie ein leises Knirschen oder Rascheln – es klang so, als marschiere eine größere Anzahl von Menschen durch den Wald.
    Jack ergriff einen seiner Stiefel, die neben ihnen im Gras lagen, schlich zum Bach, füllte den Stiefel mit Wasser und leerte ihn über dem Feuer aus. Zischend erloschen die Flammen. Auf allen vieren, und ohne das leiseste Geräusch zu verursachen, verschwand Jack im Unterholz.
    Aliena zog Unterhemd, Tunika und Stiefel an und wickelte sich wieder in ihren Mantel.
    So leise, wie er verschwunden war, kehrte Jack auch wieder zurück. »Outlaws«, sagte er.
    »Wie viele?«
    »Sehr viele. Ich habe sie gar nicht alle sehen können.«
    »Wohin gehen sie?«
    »Nach Kingsbridge.« Er hob die Hand. »Horch!«
    Aliena spitzte die Ohren. In der Ferne läutete die Glocke der Priorei Sturm. Aliena stockte das Herz. »Oh, Jack, die Kinder!«, rief sie.
    »Wenn wir durch den Sumpfgrund laufen und an der Furt beim Kastanienhain den Fluss überqueren, können wir vor den Banditen in Kingsbridge sein.«
    »Gut, aber dann los!«
    Jack berührte ihren Arm und hielt sie mit dieser Geste zurück. Er lauschte. Draußen im Wald hörte er immer Dinge, die sie nicht wahrzunehmen vermochte; es war das Vermächtnis seiner Jugend in der Wildnis. Sie wartete, bis er sagte: »Ich glaube, sie sind alle vorbei.«
    Sie verließen die Lichtung und erreichten kurz darauf die Straße. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Sie überquerten die Straße und schlugen sich auf einem kaum erkennbaren Pfad

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