Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Wort«, sagte Waleran.
»So? Ihr glaubt mir kein Wort?«, wiederholte Ellen, und Philip sah, dass sie unvermittelt von tiefem, leidenschaftlichem Zorn ergriffen war. » Ihr glaubt mir nicht? Ausgerechnet Ihr, Waleran Bigod, der Ihr mir als Meineidiger bekannt seid?«
Was, um alles in der Welt, hat das zu bedeuten, dachte Philip, und ein Abgrund tat sich vor seinem geistigen Auge auf. Waleran war bleich geworden. Da gibt es noch mehr Unausgesprochenes, Dinge, deren Enthüllung Waleran fürchtet. Die Aufregung schlug ihm auf den Magen. Waleran wirkte auf einmal schwer angeschlagen.
»Was meint Ihr damit?«, fragte Philip Ellen. »Was veranlasst Euch, den Bischof des Meineids zu bezichtigen?«
»Vor siebenundvierzig Jahren wurde hier, in dieser Priorei, ein Gefangener namens Jack Shareburg festgehalten«, sagte sie.
Waleran unterbrach sie. »Das Gericht ist an so lange zurückliegenden Ereignissen nicht interessiert.«
»Doch, hochverehrter Herr Bischof«, sagte Philip. »Die Anklage wirft mir ein Unzuchtdelikt vor, das angeblich fünfunddreißig Jahre zurückliegt. Ihr habt von mir den Beweis meiner Unschuld gefordert. Das Gericht wird an Euch nun die gleiche Forderung richten.« Er wandte sich an Ellen. »Fahrt fort!«
»Niemand wusste, warum er festgehalten wurde, am wenigsten der Gefangene selbst. Eines Tages wurde er dann freigelassen, und man schenkte ihm, wohl als Wiedergutmachung für die unschuldig erlittene Haftzeit, einen juwelengeschmückten Kelch. Jack Shareburg wollte den Kelch gar nicht haben, denn er konnte damit nichts anfangen. Auf dem Markt hätte ihm niemand einen so wertvollen Gegenstand abgekauft. Er ließ ihn also hier, und zwar in der alten Kathedrale. Kurz darauf wurde Jack wieder festgenommen – und zwar auf Veranlassung von Waleran Bigod, der damals ein einfacher Dorfpriester war, von niederem Stand, aber sehr ehrgeizig. Wundersamerweise fand sich der Kelch in Jack Shareburgs Gepäck wieder. Jack wurde zu Unrecht des Diebstahls angeklagt und nach den beeideten Aussagen von drei Männern zum Tode verurteilt und gehängt. Die drei Männer waren Waleran Bigod, Percy Hamleigh und Prior James von Kingsbridge.«
Einen Augenblick lang herrschte verblüfftes Schweigen. Dann fragte Philip: »Und woher wisst Ihr das alles?«
»Ich war die Einzige, die damals zu ihm stand. Jack Shareburg war der Vater meines Sohnes, des Erbauers dieser Kathedrale.«
Ein Sturm der Erregung brach los. Waleran und Peter fingen gleichzeitig an zu sprechen, doch war weder der eine noch der andere im aufgeregten Stimmengewirr der versammelten Kleriker zu verstehen. Sie sind gekommen, um einen Entscheidungskampf zu sehen, dachte Philip – und damit haben sie nicht gerechnet.
Nach einer Weile gelang es Peter, sich Gehör zu verschaffen. »Aus welchem Grund sollten sich drei gesetzestreue Bürger zu einer falschen Anklage gegen einen unschuldigen Fremden verschwören?«, fragte er skeptisch.
»Aus Eigennutz«, sagte Ellen. »Waleran Bigod wurde zum Erzdiakon befördert. Percy erhielt das Rittergut Hamleigh sowie ein paar andere Dörfer und wurde dadurch zu einem begüterten Mann. Was Prior James bekam, weiß ich nicht.«
»Diese Frage kann ich beantworten«, sagte eine Stimme, die sich bisher nicht hatte vernehmen lassen.
Verwundert blickte Philip in die Runde: Der Sprecher war Remigius. Er war inzwischen weit über siebzig, hatte schlohweißes Haar und geriet beim Reden oft vom Hundertsten ins Tausendste. Auf einen Gehstock gestützt, erhob er sich; seine Augen und seine wache Miene zeigten, dass er bei klarem Verstand war. Seit seinem Sturz und seiner Rückkehr ins Kloster hatte er ein ruhiges, demütiges Leben geführt und sich in der Öffentlichkeit nur noch selten zu Wort gemeldet. Auf welche Seite wird er sich jetzt wohl schlagen, dachte Philip. Wird er die letzte Gelegenheit nutzen, seinem alten Feind Philip in den Rücken zu fallen?
»Ich kann Euch sagen, welche Belohnung Prior James erhielt«, sagte Remigius. »Die Priorei erhielt die Dörfer Northwold, Southwold und Hundredacre sowie den Wald von Oldean.«
Philip war entsetzt. War es wirklich möglich, dass sein Vorgänger um ein paar Dörfer willen einen Meineid geschworen hatte?
»Prior James war nie ein guter Klosterverwalter«, fuhr Remigius fort. »Die Priorei steckte in finanziellen Schwierigkeiten. Er hoffte, das zusätzliche Einkommen würde uns aus der Misere befreien.« Er machte eine kleine Pause und fügte dann hinzu: »Unter dem
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