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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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muss raus aus dem Wald … Er wusste, dass seine Überredungskunst erneut gefordert war, wollte aber sein Bestes tun.
    »Geht es dir gut?«, fragte er.
    »Natürlich geht es mir gut!«, polterte sie. »Wir sind da!«
    Jack sah sich um. Er erkannte die Stelle nicht wieder.
    »Hier also?«, fragte Jonathan.
    »Ja«, sagte Ellen.
    »Wo ist die Straße?«, wollte Jack wissen.
    »Dort drüben.«
    Von der Straße aus gesehen kam ihm die Stelle dann doch irgendwie bekannt vor. Eine Flut von Erinnerungen strömte auf ihn ein. Die große Rosskastanie … Damals war sie kahl; und überall lagen Kastanien herum … Gegenwärtig stand der Baum in voller Blüte.
    »Martha erzählte mir damals, was geschehen war«, sagte Jack. »Sie rasteten hier, weil deine Mutter nicht mehr weiterkonnte. Tom machte ein Feuer und kochte ein paar Rüben – Fleisch hatten sie keines. Genau hier, an dieser Stelle, hat deine Mutter dich geboren. Du warst gesund und munter, aber bei ihr hat irgendetwas nicht gestimmt. Sie starb.« Ein paar Fuß vom Stammgrund entfernt war eine kleine, flache Bodenerhebung zu erkennen. »Der kleine Hügel dort, siehst du ihn?«
    Jonathan nickte. Seine Miene war angespannt; er bemühte sich, die Gefühle, die ihn zu überwältigen drohten, im Zaum zu halten.
    »Das ist das Grab.« Bei diesen Worten Jacks wehte eine kleine Wolke Blütenblätter vom Baum und breitete sich über den Hügel.
    Jonathan kniete nieder und begann zu beten.
    Jack stand schweigend neben ihm. Er erinnerte sich an die Begegnung mit seinen Verwandten in Cherbourg und wie sehr ihn dieses Erlebnis aufgewühlt hatte. Das, was Jonathan jetzt widerfuhr, musste noch erschütternder sein.
    Nach einer Weile stand der Mönch wieder auf. »Wenn ich Prior bin«, sagte er feierlich, »werde ich hier ein kleines Kloster mit einer Kapelle und einer Herberge errichten, auf dass fortan in diesem Gebiet nie wieder ein Reisender bei kalter Winternacht im Freien schlafen muss. Ich widme dieses Kloster dem Andenken meiner Mutter.« Er sah Jack an. »Wie sie hieß, hast du wahrscheinlich nie gewusst, oder?«
    »Sie hieß Agnes«, sagte Ellen leise. »Deine Mutter hieß Agnes.«
    Bischof Waleran war ein sehr beredter Ankläger.
    Zu Beginn seiner Rede ging er auf Philips schnelle Karriere ein: mit einundzwanzig Cellerar seiner Heimatabtei, mit dreiundzwanzig Prior des Filialklosters St.-John-in-the-Forest, schließlich im bemerkenswert jungen Alter von achtundzwanzig Jahren Prior von Kingsbridge. Immer wieder hob er Philips Jugend hervor. Dabei gelang es ihm, den Eindruck zu erwecken, jemand, der in so jungen Jahren Verantwortung übernehme, müsse zwangsläufig eingebildet und hoffärtig sein. Anschließend beschrieb er die Zelle St.-John-in-the-Forest und betonte besonders ihre weltabgeschiedene Lage. Wer dort Prior sei, habe enorme Freiheit und Unabhängigkeit. »Wen kann es überraschen«, fragte er mit erhobener Stimme, »dass dieser unerfahrene, heißblütige junge Mann nach fünf Jahren, in denen praktisch niemand sein Tun und Lassen überwacht hat, Vater eines Kindes wurde?« Es klang fast wie eine unausweichliche Folge. Philip hätte Waleran erwürgen können.
    Der Bischof schilderte daraufhin, wie Philip den kleinen Jonathan und Johnny Eightpence nach Kingsbridge gebracht hatte. Die Mönche seien bestürzt gewesen, sagte er, als sich ihr neuer Prior mit einem Säugling und einer männlichen Amme bei ihnen einfand …
    Da hat er sogar recht, dachte Philip, vergaß für einen Augenblick seine innere Anspannung und unterdrückte ein wehmütiges Lächeln.
    Philip habe mit dem Kind Jonathan viel gespielt, ihn persönlich unterrichtet und später zu seinem Adlatus gemacht, fuhr Waleran fort, kurz: ihn genauso behandelt wie ein Vater seinen Sohn. Der Unterschied sei nur der, dass Mönche keine Söhne haben dürften. »Jonathan war frühreif, genau wie Philip. Als Cuthbert Whitehead starb, machte Philip Jonathan zum Cellerar, obwohl dieser erst einundzwanzig war. Gab es da wirklich in diesem Kloster von mehr als hundert Mönchen keinen anderen, der für das Amt geeignet gewesen wäre? War da wirklich nur dieser Knabe von gerade mal einundzwanzig Jahren? Oder begünstigte Philip bloß sein eigen Fleisch und Blut? Als Milius das Kloster verließ, um Prior von Glastonbury zu werden, hat Philip Jonathan zum Kämmerer ernannt. Er ist vierunddreißig Jahre alt. Ist er wirklich der klügste und gottesfürchtigste Mönch hier in der Priorei, oder ist er nur Philips

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