Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
genügt.«
    »Eines Tages wird die Wahrheit schon ans Licht kommen«, meinte Philip.
    »Nicht unbedingt«, antwortete Milius. »Nehmen wir an, der Bischof verzichtet auf die Nominierung Osberts. Da wird Remigius dann einfach behaupten, er habe aus Furcht vor einem Streit mit dem einmütigen Kloster einen Rückzieher gemacht.«
    Philip blieb hart. »Ich gebe noch nicht auf«, sagte er.
    »Was können wir noch tun?«, fragte Milius.
    »Wir müssen die Wahrheit herausfinden.«
    »Und wie?«
    Philip überlegte angestrengt. Die Ausweglosigkeit bereitete ihm physische Schmerzen. »Warum können wir ihn nicht einfach fragen?«
    »Fragen? Wen?«
    »Den Bischof. Wir können uns doch bei ihm selbst nach seinen Absichten erkundigen.«
    »Wie stellst du dir das vor?«
    »Wir können eine Botschaft an den bischöflichen Palast schicken, oder?« Philip sah Cuthbert an.
    Cuthbert dachte nach. »Ja, das ist möglich. Ich sende ohnehin dauernd Botschafter aus. Da kann ich auch einen zum Bischof schicken.«
    »Und den Bischof fragen lassen, was er vorhat?«, fragte Milius skeptisch.
    Philip runzelte die Stirn. Genau das war der kritische Punkt.
    Cuthbert stimmte Milius zu. »Der Bischof wird uns keine Antwort geben«, meinte er.
    Philip hatte eine Idee, und seine finstere Miene hellte sich auf. Aufgeregt hieb er mit der geballten rechten Faust in die linke Handfläche. »Nein«, sagte er, »der Bischof nicht. Aber sein Erzdiakon.«
    In dieser Nacht träumte Philip von Jonathan, dem ausgesetzten Säugling. In seinem Traum lag das Kind im Portal der Kapelle von St.-John-in-the-Forest, während Philip im Inneren der Kirche die Prim las. Da erschien auf einmal ein Wolf am Waldesrand und schlich sich geschmeidig wie eine Schlange über das Feld, um das Kind zu holen. Philip unternahm nichts; er hatte Angst, den Gottesdienst zu stören und von Remigius und Andrew, die beide zugegen waren, gescholten zu werden. (In Wirklichkeit war keiner von beiden jemals in Philips Zelle gewesen.) Philip entschloss sich zu schreien, doch als er es versuchte, entrang sich, wie so oft in Träumen, kein Laut seiner Kehle. Er versuchte es wieder und wieder – und strengte sich dabei so an, dass er erwachte. Zitternd lag er auf dem Bett und hörte die Atemzüge der schlafenden Mönche um ihn herum. Erst langsam gelang es ihm, sich davon zu überzeugen, dass der Wolf nur eine Ausgeburt seines Traums war.
    Seit seiner Ankunft in Kingsbridge hatte er kaum noch an den kleinen Jungen gedacht. Nun fragte er sich, was er mit dem Knaben machen sollte, falls er doch noch zum Prior gewählt würde. Die Voraussetzungen wären gänzlich andere. In einem kleinen Kloster im Wald fiel ein Säugling nicht sonderlich auf. Derselbe Säugling in Kingsbridge würde dagegen für erhebliche Aufregung sorgen. Und wenn schon, dachte Philip. Es ist keine Sünde, den Leuten Anlass zum Klatschen zu geben. Wenn ich Prior bin, kann ich tun und lassen, was mir gefällt. Ich kann Johnny Eightpence nach Kingsbridge holen und ihn weiterhin für das Kind sorgen lassen …
    Philip empfand eine ungebührliche Freude bei diesem Gedanken und war fest entschlossen, ihn in die Tat umzusetzen. Erst dann fiel ihm ein, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht Prior werden würde.
    Den Rest der Nacht über lag er wach, von fiebriger Ungeduld erfüllt. Es gab nichts, was er hätte tun können, um sein Anliegen voranzutreiben. Gespräche mit den Mitbrüdern würden nichts einbringen, denn deren Denken wurde beherrscht von der Furcht vor Osbert. Einige von ihnen hatten ihn nach der Versammlung sogar noch angesprochen und ihm gesagt, wie sehr sie seine Niederlage bedauerten – ganz so, als hätte die Wahl längst stattgefunden. Mit Mühe hatte er der Versuchung widerstanden, sie alle als treulose Feiglinge zu bezeichnen, und ihnen statt dessen lächelnd beschieden, dass sie sich vielleicht noch wundern würden. In Wirklichkeit war seine Zuversicht schwer erschüttert. Wer konnte schon sagen, wie Erzdiakon Waleran reagieren würde? Vielleicht war er gar nicht anwesend, wenn die Botschaft im Bischofspalast eintraf, und selbst wenn er anwesend war, konnte es durchaus sein, dass er aus bestimmten Gründen dagegen war, dass Philip von den Plänen des Bischofs erfuhr. Am wahrscheinlichsten war freilich, dass Waleran, seiner Natur entsprechend, eigene Pläne verfolgte.
    Als der Morgen graute, stand Philip zusammen mit den Mitbrüdern auf und ging in die Kirche zur Prim, dem ersten Gebet des Tages.

Weitere Kostenlose Bücher