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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Treffen der Neuverlobten wurde allenthalben nur als reine Formalität betrachtet – nur nicht von Aliena, wie sich herausstellen sollte.
    Sie kannten einander natürlich schon länger. William konnte sich noch gut an das kleine Mädchen Aliena mit dem schelmischen Gesicht und der Stupsnase erinnern. Die widerspenstigen Haare trug sie damals kurz geschnitten. Sie war ein streitlustiger, draufgängerischer Dickkopf gewesen, und alle anderen Kinder tanzten nach ihrer Pfeife. Aliena bestimmte, welche Spiele gespielt wurden und wer in welche Mannschaft kam; sie schlichtete Streitigkeiten und zählte Punkte und Tore. Ihre dominierende Art hatte William einerseits fasziniert, andererseits aber auch abgestoßen. Wenn man einen Streit vom Zaun brach, konnte man Aliena aus dem Tritt bringen und sich selbst in Szene setzen – aber immer nur vorübergehend. Über kurz oder lang nahm sie unweigerlich das Heft wieder in die Hand – und er, William, saß da und fühlte sich besiegt, verschmäht, verärgert – und verzaubert, ganz ähnlich wie auch jetzt wieder.
    Nach dem Tode ihrer Mutter begleitete Aliena ihren Vater auf vielen Reisen. William bekam sie daher nicht mehr so oft zu Gesicht wie früher – aber immer noch oft genug, dass ihm auffiel, zu welch atemberaubender Schönheit sie heranwuchs. Als man ihm eröffnet hatte, sie solle seine Braut werden, war er daher hocherfreut gewesen. Was Aliena davon hielt, kümmerte ihn nicht; schließlich, so hatte er geglaubt, bestimme nicht sie über die Auswahl ihres künftigen Gemahls. Trotzdem wollte er sie besuchen, bevor er sie zum Altar führte. In bester Absicht machte er sich auf den Weg.
    Aliena war noch Jungfrau, er jedoch hatte schon seine Erfahrungen. Unter den Mädchen, die er umworben hatte, waren einige fast so hübsch wie Aliena gewesen, darunter allerdings keine von so hoher Geburt. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass Mädchen sich vor allem von seinen feinen Kleidern und feurigen Rössern beeindrucken ließen; auch mochten sie es, wenn er ihnen süßen Wein spendierte und bunte Bänder kaufte, wie sie überhaupt seinen freigebigen Umgang mit Geld bewunderten. Gelang es ihm dann, sie in eine einsame Scheune zu locken, fügten sich die meisten, mehr oder minder bereitwillig, seinen Wünschen.
    Im Grunde seines Herzens war William Mädchen gegenüber ein wenig schüchtern, und wenn ihn eine interessierte, ließ er es sie zunächst nicht wissen. Doch kaum war er mit Aliena allein, war es um seine Zurückhaltung geschehen. Sie trug ein hellblaues Seidenkleid, das in freiem Fall ihre Figur umschmeichelte, doch William konnte nur an den nackten Körper darunter denken, den er alsbald würde sehen können, sooft ihm der Sinn danach stand. Er hatte sie mit einem Buch in der Hand angetroffen. Sie las – eine höchst merkwürdige Beschäftigung für eine Frau, die keine Nonne war. Nur um sich von der Bewegung ihrer Brüste unter der blauen Seide abzulenken, hatte er sie nach dem Titel des Buches gefragt.
    »Es heißt Das Alexanderlied und handelt von einem König namens Alexander der Große. Es beschreibt, wie er ganz wundersame Länder im Osten erobert hat, wo wertvolle Edelsteine an Rebstöcken wachsen und die Blumen sprechen können.«
    Es war William unbegreiflich, wie man mit derartigem Blödsinn seine Zeit vertun konnte. Er verzichtete freilich auf einen Kommentar und erzählte ihr statt dessen von sich – von seinen Pferden und Hunden sowie seinen Erfolgen auf der Jagd, beim Ringen und auf Turnieren. Indessen zeigte sich Aliena weniger beeindruckt, als er gehofft hatte. Er berichtete von dem Haus, das sein Vater für sie beide bauen ließ, und erklärte ihr, gleichsam als Vorbereitung auf ihre neue Aufgabe als Gemahlin, wie er sich ihre künftige Haushaltsführung vorstellte. Doch je länger er auf sie einredete, desto stärker spürte er, dass sie ihm gar nicht mehr richtig zuhörte, ohne dass er wusste, warum. Er rückte so nah wie möglich an sie heran, denn er wollte sie packen, an ihr herumfummeln und herausfinden, ob diese Titten wirklich so groß waren, wie er sich das einbildete … Aliena jedoch verschränkte die Arme, schlug die Beine übereinander und rückte von ihm ab. Sie wirkte so abweisend, dass er widerstrebend von ihr abließ und sich mit dem Gedanken tröstete, dass er in Kürze ohnehin mit ihr treiben konnte, was er wollte.
    Nichts deutete zu diesem Zeitpunkt auf die große Szene hin, die Aliena, kaum dass William die Burg verlassen hatte,

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