Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
fort. »Waleran ist sich seiner Sache nicht sicher. Er weiß nicht genau, ob Bartholomäus wirklich ein Verräter ist. Seine Quelle ist nicht zuverlässig. Ich habe keine Ahnung, wie er an die Information gekommen ist – vielleicht hat er zufällig zwei Trunkenbolde darüber schwadronieren hören, oder er hat eine zweideutige Botschaft abgefangen. Kann auch sein, dass er’s von einem Kundschafter hat, dem er nicht über den Weg traut. Auf jeden Fall ist er nicht bereit, sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Nie würde er Graf Bartholomäus offen des Verrats bezichtigen, stünde er dann doch, wenn sich die Vorwürfe gegen den Grafen als haltlos erweisen sollten, als Verleumder da. Waleran sucht ganz einfach jemanden, der für ihn die Dreckarbeit erledigt. Wenn alles vorbei ist und Bartholomäus zweifelsfrei des Hochverrats überführt, dann wird er sich schon melden und seinen Lohn einfordern. Ist der Graf allerdings unschuldig, so wird Waleran von dem Gespräch, das er heute mit uns geführt hat, nichts mehr wissen wollen.«
So, wie sie es darstellte, klang es ganz folgerichtig. Ohne Mutter, gestand sich William ein, wären Vater und ich Waleran auf den Leim gegangen. Wir hätten uns vor seinen Karren spannen lassen und das gesamte Risiko auf uns genommen. Doch auf Mutters politische Urteilskraft war Verlass.
»Soll das nun heißen, dass wir die ganze Angelegenheit auf sich beruhen lassen?«, fragte Percy Hamleigh.
»Nein, gewiss nicht.« Ihre Augen funkelten. »Wenn wir Glück haben, liegt darin trotz allem eine große Chance, den Leuten, die uns so erniedrigt haben, den Garaus zu machen.« Ein Rossknecht führte ihr Pferd vor; sie nahm die Zügel entgegen und entließ ihn mit einer Handbewegung, stieg aber noch nicht auf. Nachdenklich tätschelte sie den Hals des Tieres und flüsterte: »Wir brauchen handfeste Beweise für den Verrat, sodass Bartholomäus alles Leugnen nicht mehr hilft. Allerdings müssen wir uns die Beweise heimlich beschaffen. Kein Mensch darf davon erfahren. Sobald wir sie haben, können wir Bartholomäus festnehmen und ihn dem König überstellen. Ihm wird dann nichts anderes übrig bleiben, als zu gestehen und um Gnade zu winseln – und wir können Anspruch auf die uns zustehende Belohnung erheben.«
»Und jede Beteiligung Walerans an der Aufdeckung des Komplotts abstreiten«, fügte Vater hinzu.
Mutter schüttelte den Kopf. »Warum? Soll er doch seinen Teil bekommen. Er steht dann in unserer Schuld – und das kann nie schaden, nicht wahr?«
Percy Hamleigh sah seine Frau unsicher an. »Aber wie sollen wir das anstellen?«, fragte er. »Wie kommen wir an die Beweise?«
Mutter runzelte die Stirn. »Wir müssen uns unter irgendeinem Vorwand auf seiner Burg einschleichen und uns dort umsehen. Leicht ist das nicht, so viel steht fest. Einen Freundschaftsbesuch nimmt uns kein Mensch ab. Jedermann weiß, dass wir Bartholomäus hassen.«
William hatte auf einmal eine Idee. »Ich kann doch hinreiten«, sagte er.
Überrascht sahen seine Eltern auf. »Nun, du erregst gewiss weniger Aufmerksamkeit als dein Vater. Nur – du bräuchtest einen bestimmten Anlass …«
Mit diesem Einwand hatte William gerechnet. »Ich kann sagen, dass ich Aliena besuchen will«, gab er zur Antwort, und allein der Gedanke daran brachte sein Blut in Wallung. »Ich könnte sie bitten, sich ihren Entschluss noch einmal zu überlegen. Sie hat mich damals völlig falsch eingeschätzt. Ich glaube immer noch, dass ich ihr ein guter Ehemann sein könnte. Vielleicht will sie bloß ein bisschen mehr umworben werden.« Er verzog das Gesicht, in der Hoffnung, ein zynisches Lächeln hervorzubringen. Die Eltern sollten nicht merken, dass er es bitterernst meinte.
»Eine geradezu perfekte Ausrede!«, sagte Mutter und bedachte William mit einem anerkennenden Blick. »Herr im Himmel, vielleicht hat der Junge ja doch eine Spur von der Intelligenz seiner Mutter geerbt.«
Als William sich am Tag nach dem Dreikönigsfest auf den Weg nach Earlscastle machte, war er zum ersten Mal seit vielen Monaten guten Mutes. Es war ein klarer, kalter Morgen; der Nordwind brannte in seinen Ohren, und unter den Hufen seines Schlachtrosses knirschte das gefrorene Gras. Über einer scharlachroten Tunika trug er einen mit Kaninchenfell gefütterten Mantel aus bestem flandrischem Tuch.
Walter, sein Bediensteter, begleitete ihn. William war zwölf Jahre alt gewesen, als Walter sein Waffenlehrer wurde. Reiten, Jagen, Fechten und Ringen hatte
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