Die Säulen der Schöpfung - 13
war; und mit ihrem Gerede hatte sie sich soeben hoffnungslos darin verstrickt.
»Ich war damals jung und wüßte meine magischen Fertigkeiten meisterlich zu gebrauchen«, erklärte Althea. In ihren Augen blitzte ein Funken der Erinnerung an diese herrliche Zeit ihres Lebens auf. »Jahrtausendelang war es niemandem gelungen, die große Barriere in beiden Richtungen zu durchqueren, doch ich hatte es getan. Ich hatte bei den Schwestern des Lichts studiert, hatte Audienzen bei ihrer Prälatin und dem großen Propheten erhalten. Ich hatte Dinge erreicht wie nur wenige andere vor mir. Ich war weit über einhundert Jahre alt und noch immer jung, und ich hatte einen gut aussehenden und charmanten frischgebackenen Ehemann, der fest daran glaubte, ich könnte die Sterne vom Himmel holen, sofern mich nur der Wunsch dazu überkam. Ich war altersweise und dabei noch immer jung. Ich war klug, oh, wie klug war ich damals, und ich besaß eine stark ausgeprägte Gabe. Ich war erfahren, intelligent und attraktiv, hatte zahlreiche Freunde und einen Kreis von Menschen um mich, der bei jeder meiner weltlichen Erklärungen an meinen Lippen hing.«
Mit ihren langen, schlanken Fingern zog Althea den Saum ihres Kleides hoch und entblößte ihre Beine.
Der Anblick ließ Jennsen erschrocken zurückweichen. Jetzt sah Jennsen, warum Althea vorhin nicht aufgestanden war, Ihre Beine waren kraftlos und mißgebildet verkümmerte Knochen mit einer vertrockneten Schicht bleichen Fleisches darüber, so als waren sie bereits vor Jahren abgestorben und nie beerdigt worden, weil ihr restlicher Körper noch lebte.
»Du warst sechs Jahre alt«, fuhr die Hexenmeisterin mit geradezu beängstigend ruhiger und leiser Stimme fort, »als Darken Rahl mir schließlich auf die Schliche kam. Er war sehr erfinderisch. Sehr viel gerissener, wie sich herausstellte, als eine junge Hexenmeisterin von gerade mal einhundert Jahren. Mir blieb gerade noch Zeit, meiner Schwester aufzutragen, deine Mutter zu warnen, bevor er mich schnappte.«
Jennsen erinnerte sich, wie sie gerannt war. Sie war noch klein gewesen, als sie und ihre Mutter aus dem Palast geflohen waren. Es war Nacht gewesen, und kurz zuvor war ein Besucher an ihrer Tür erschienen. Aus dem dunklen Flur hatte sie Getuschel gehört, und unmittelbar darauf waren sie geflohen.
»Aber er … er hat Euch nicht getötet?« Jennsen mußte schlucken. »Er hat sich Eurer erbarmt – und Euer Leben verschont.«
Altheas Lachen entbehrte jeglichen Humors. Es war das freudlose Lachen über eine zutiefst naive Bemerkung.
»Darken Rahl hielt nie viel davon, diejenigen, die sein Mißfallen erregt hatten, einfach umzubringen. Manchmal zog er es vor, wenn sie statt dessen ein langes, ausgedehntes Leben lebten; ihr Tod, mußt du wissen, wäre nur einer Erlösung gleichgekommen. Wie hätten sie tot Reue zeigen, wie hätten sie leiden und als warnendes Beispiel für andere dienen können? Du kannst dir weder vorstellen, noch könnte ich dir auch nur ansatzweise erklären, welch ein Alptraum diese Gefangennahme war, der endlose Weg, als man mich vor ihn schleppte, was es hieß, sich in der Gewalt dieses Mannes zu befinden, was es hieß, in sein ruhiges Gesicht zu blicken, in seine kalten blauen Augen, wissend, daß man der Gnade eines Mannes ausgeliefert war, der keine Gnade kennt. Die Schmerzen entsprachen vermutlich dem, was man erwarten konnte. Meine Beine können vielleicht noch teilweise Zeugnis davon ablegen. Aber die Schmerzen waren nicht das Schlimmste, bei weitem nicht. Er nahm mir alles, was ich besaß und als selbstverständlich betrachtete. Meiner Kraft, meiner Gabe tat er Schlimmeres an als meinen Beinen; du kannst es nur nicht sehen, ich aber sehe es jeden Tag. Doch selbst all das reichte Darken Rahl noch nicht. Sein Mißfallen über das, was ich getan hatte, um euch zu verstecken, war gerade erst entflammt worden. Er verbannte mich hierher, in dieses verpestete Tiefland voller heißer Quellen und krankmachender Dämpfe. Hier hat er mich eingesperrt, um rings um mich herum ein Sumpfgebiet mit Ungeheuern zu bevölkern, erschaffen mit ebenjenen Kräften, die er mir geraubt hatte. Er wollte mich in seiner Nähe haben, mußt du wissen. Mehrfach war er hier, nur um zu sehen, wie ich in meinem Gefängnis vor mich hin darbe. Ich bin den Wesen dort draußen ausgeliefert, die ihr Leben meiner Gabe zu verdanken haben, einer Gabe, zu der mir schon so lange der Zugang verwehrt ist. Mit meinen Armen allein könnte ich mich
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