Die Säulen der Schöpfung - 13
gezogen hatte, stopfte er ihr rotes Haar seitlich darunter.
Den Rucksack ihrer Mutter in der einen Hand haltend, zog er mit der anderen zweimal kräftig an seiner Axt und löste sie so aus dem Schädel des Soldaten; Blut lief am Stiel herab, als er sie in seinen Waffengurt hakte.
»Ist das alles?«, fragte er sie auf dem Weg zur Tür.
Jennsen sah über die Schulter auf ihre am Boden liegende Mutter.
»Sie ist tot, Jennsen. Die Gütigen Seelen werden sich ihrer annehmen. Sie schaut jetzt lächelnd auf Euch herab.«
Jennsen sah zu ihm hoch. »Wirklich? Glaubt Ihr das?«
»Ja. Sie ist jetzt in einer besseren Welt.«
In einer besseren Welt! An diesen Gedanken klammerte sich Jennsen. In ihrer Welt existierte nichts als Schmerz und Kummer. Sie war immer so stolz auf ihren klar denkenden Verstand gewesen. Was war jetzt daraus geworden?
Sebastian zog sie am Arm durch den Regen zu dem bergab führenden Pfad.
»Betty«, sagte sie plötzlich und weigerte sich weiterzugehen. »Wir müssen Betty holen.«
Er betrachtete den Pfad, dann sah er hinüber zur Höhle. »Ich glaube, um die Ziege müssen wir uns keine Sorgen machen, aber ich sollte wohl meinen Rucksack und meine Sachen holen gehen.«
Jetzt erst merkte sie, daß er ohne seinen Umhang im strömenden Regen stand; er war bereits bis auf die Haut durchnäßt. Ihr schoß der Gedanke durch den Kopf, daß sie vielleicht nicht die Einzige war, die nicht klar dachte. Er hatte es so eilig fortzukommen, daß er um ein Haar seine Sachen zurückgelassen hätte. Und das wäre sein sicherer Tod gewesen. Betty würde sich als nützlich erweisen, aber plötzlich kam ihr noch ein anderer Gedanke. Jennsen lief zurück ins Haus.
Sie ignorierte Sebastians wütende Rufe. Im Haus lief sie zu einer kleinen Kommode aus Holz unmittelbar hinter der Tür und entnahm ihr zwei zusammengeschnürte Schaffellumhänge – einer gehörte ihrer Mutter, der andere ihr. Er sah ihr ungeduldig von der Tür aus zu, enthielt sich aber jeglichen Kommentars, als er sah, was sie tat. Ohne dem Tod noch einmal ins Auge zu sehen, verließ sie das Haus wieder – zum allerletzten Mal.
Zusammen liefen sie zur Höhle, wo das Feuer immer noch knisternd und knackend brannte. Betty lief aufgeregt hin und her und zitterte, ansonsten aber war sie ungewöhnlich still – als wüßte sie, daß etwas auf entsetzliche Weise nicht stimmte.
»Trocknet Euch erst mal ein wenig ab«, sagte Jennsen.
»Dafür haben wir keine Zeit!«
»Ihr werdet Euch den Tod holen, sonst nichts. Was hätte das Weglaufen dann noch für einen Sinn? Tot ist tot.« Sie war selbst überrascht, wie vernünftig ihre Worte klangen.
Jennsen zog die beiden zusammengerollten Schaffellumhänge unter ihrem Wollumhang hervor. »Sie werden helfen, uns gegen den Regen zu schützen, aber zuvor müßt Ihr erst einmal trocken werden, sonst könnt Ihr nicht genug Wärme speichern.«
Er nickte und stand fröstelnd und sich die Hände reibend am Feuer, während der Sinn ihrer Worte sich endlich gegen sein dringendes Bedürfnis, von hier zu verschwinden, durchsetzte. Sie fragte sich, wie er das alles bloß schaffte mit seinem Fieber. Aus Angst vermutlich, aus nackter, rasender Angst.
Ihr ganzer Körper schmerzte, nicht nur, weil man überaus grob mit ihr umgesprungen war, nein, jetzt sah sie auch, daß ihre Schulter blutete. Die Schnittwunde war nicht tief, aber sie pochte. Am liebsten hätte sie sich einfach hingelegt und losgeheult. Die Worte ihrer Mutter waren im Augenblick das Einzige, was sie noch auf den Beinen hielt; ohne diese letzten Anordnungen wäre Jennsen zu sinnvollem Tun nicht mehr fähig gewesen.
Während Sebastian über das Feuer gebeugt stand, band Jennsen Betty einen Strick um den Hals. Hatten sie diesen Ort erst einmal verlassen und einen wenn auch noch so einfachen Unterschlupf gefunden, würden sie in einer naßkalten Nacht wie dieser kein Feuer mehr entzünden können. Sobald sie ein trockenes Erdloch, einen Platz unter einem Felsvorsprung oder einem umgestürzten Baum gefunden hatten, würden sie sich neben die Ziege kauern, so daß Betty sie wärmen konnte und sie nicht erfrieren mußten. Jennsen sammelte sämtliche Möhren und Eicheln vorn Felssims und verstaute sie ebenfalls in ihrem Gepäck.
Als Sebastian so weit getrocknet war, wie er sich dies selber zugestehen wollte, legten sie ihre Wollumhänge an und darüber die Schaffelle. Jennsen nahm Betty an den Strick, dann brachen sie auf in das alles durchnässende Dunkel. Sebastian
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