Die Saga vom Dunkelelf 1 - Der dritte Sohn
er seinen Körper in dem Versuch bewegte, sich aufzurichten. Was machte das schon aus? dachte er. »Mein Spiegel!« hörte er den Gesichtslosen grollen. Er sah den wütenden Meister über sich aufragen. Wie groß er Alton erschien! Wie groß und mächtig und das Kerzenlicht von dieser kleinen Nische zwischen den Vitrinen völlig abschirmend. Seine Gestalt erschien dem hilflosen Opfer durch das bloße Einbegriffensein in seine Gegenwart zehnfach groß.
Dann fühlte Alton eine klebrige Masse um sich herum niedergehen, eine Spinnwebe, die an den Vitrinen, an der Wand und an Alton selbst haften blieb. Der junge DeVir versuchte aufzuspringen und zur Seite zu rollen, aber der Zauber des Gesichtslosen hielt ihn bereits fest, nahm ihn gefangen wie eine Dirgitfliege in den Fäden eines Spinnennetzes.
»Zuerst meine Tür«, knurrte der Gesichtslose ihn an. »Und jetzt das, meinen Spiegel! Könnt Ihr Euch überhaupt vorstellen, welche Mühe es mich gekostet hat, so einen seltenen Gegenstand zu bekommen?«
Alton drehte seinen Kopf von einer Seite auf die andere, nicht als Antwort, sondern um sein Gesicht endlich von der Spinnwebe zu befreien.
»Warum seid Ihr nicht einfach stehengeblieben und habt zugelassen daß die Tat sauber beendet wird?« brüllte der Gesichtslose aufs äußerste angewidert.
»Warum?« stammelte Alton und spuckte dabei etwas von der Spinnwebe von seinen Lippen. »Warum solltet Ihr mich töten wollen?«
»Weil Ihr meinen Spiegel zerbrochen habt!« schoß der Gesichtslose zurück.
Das ergab natürlich keinen Sinn - der Spiegel war erst nach dem vorausgegangenen Angriff zerbrochen worden -, aber für den Meister, so vermutete Alton, mußte es auch keinen Sinn ergeben. Alton wußte, daß sein Fall hoffnungslos war, aber er fuhr mit seinen Bemühungen fort, sein Gegenüber von seinem Plan abzubringen.
»Ihr kennt mein Haus, das Haus DeVir«, sagte er empört.
»Das vierte Haus der Stadt. Die Oberin Ginafae wird nicht sehr erfreut sein. Eine Hohepriesterin hat ihre Möglichkeiten, die Wahrheit über eine solche Situation zu erfahren!«
»Haus DeVir?« Der Gesichtslose lachte. Vielleicht würden die Qualen, die Dinin Do'Urden gefordert hatte, letztendlich doch noch bewirkt werden. Alton hatte seinen Spiegel zerbrochen!
»Das vierte Haus!« fauchte Alton.
»Einfältige Jugend«, kicherte der Gesichtslose. »Das Haus DeVir existiert nicht mehr - nicht an vierter Stelle, nicht an vierundfünfzigster, überhaupt nicht mehr.«
Alton sank zusammen, obwohl die Spinnwebe ihr Bestes tat, ihn aufrecht zu halten. Worüber mochte der Meister reden?
»Sie sind alle tot«, höhnte der Gesichtslose. »Die Oberin Ginafae sieht Lloth heute deutlicher.« Altons erschrockener Gesichtsausdruck erfreute den verunstalteten Meister. »Alle tot«, knurrte er noch einmal. »Außer dem armen Alton, der weiterlebt, um von dem Unglück seiner Familie zu erfahren. Dieses Versehen soll nun in Ordnung gebracht werden!« Der Gesichtslose erhob seine Hände, um einen Zauber auszusprechen.
»Wer?« schrie Alton.
Der Gesichtslose hielt inne und schien nicht zu verstehen. »Welches Haus hat das getan?« erklärte der zum Tode verurteilte Student. »Oder welcher Zusammenschluß von Häusern hat DeVir vernichtet?«
»Ja, man sollte es Euch erzählen«, antwortete der Gesichtslose, der die Situation offensichtlich genoß. »Ich denke, es ist Euer Recht, dies zu wissen, bevor Ihr Euch Eurer Familie im Reich des Todes anschließt.« Ein Lächeln breitete sich über die Öffnung aus, wo einmal seine Lippen gewesen waren.
»Aber Ihr habt meinen Spiegel zerbrochen!« knurrte der Meister. »Sterbt, Ihr dummer, dummer Junge! Findet Eure eigenen Antworten!«
Der Oberkörper des Gesichtslosen stieß plötzlich vor, und er erschauerte unter Krämpfen, wobei er Flüche in einer Sprache murmelte, die weit über das Verständnis des verängstigten Schülers hinausging. Welch scheußlichen Zauber hatte dieser verunstaltete Meister für ihn vorbereitet, daß die melodiösen Worte in einer geheimnisvollen Sprache formuliert werden mußten, die in den Ohren des gelehrten Alton fremd und so unaussprechlich böse klang, daß seine Semantik fast außer Kontrolle seines Beschwörers geriet? Dann fiel der Gesichtslose vornüber zu Boden und verschied. Alton verfolgte verblüfft die Linie der Kopfbedeckung des Meisters bis zu seinem Rücken - zu dem Ende eines herausragenden Pfeiles. Alton betrachtete den vergifteten Pfeil, der weiterhin durch den Aufprall
Weitere Kostenlose Bücher