Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
Säuglings... pass gut darauf auf, Silje! Sie können dir eines Tages von Nutzen sein. Komm jetzt!«
Er glaubt wohl, ich werde sie verkaufen, wenn ich in Not bin, dachte sie und folgte seinen Fußspuren. Vor ihr in der Dunkelheit kam er ihr unglaublich groß vor, aber das lag vielleicht einfach nur an dem Wolfspelz. Es war ihr ein Rätsel, wie er sich in diesem nachtschwarzen Wald so schnell vorwärtsbewegen konnte, überrascht aber war sie im Grunde nicht darüber. Bei diesem Mann war sie auf alles Mögliche gefasst. Sie konnte sich leicht vorstellen, dass er sich, wie die Tiere, in der Dunkelheit gut zurechtfand.
»Bitte, geht nicht so schnell«, rief sie leise. »Das kleine Mädchen kommt nicht mit.«
Er wartete auf sie, etwas ungeduldig, wie ihr schien.
»Ich habe dich mit dem mordlüsternen Pack da unten sprechen hören«, sagte er, als sie ihn eingeholt hatte. »Und mich hat beeindruckt, wie gut es dir gelungen ist, die Gräfin zu spielen. Jetzt sprichst du mehr wie ein Mädchen vom Land. Wer bist du eigentlich? Und was bist du?«
»Ich bin nichts weiter als nur Silje. Ihr solltet von meinen Kleidern ausgehen, nicht von der Sprache. Dass ich vornehm reden kann, wenn ich will, ist eine lange Geschichte, zu lang, um sie zu erzählen«, sagte sie.
Er passte seine Schritte den ihrigen an und achtete darauf, dass sie nicht hinterherhinkten. Das kleine Mädchen war jetzt offensichtlich müde.
Siljes Gedanken schweiften ab zu dem schönen Jüngling. »Wie schön er ist«, sagte sie hingerissen, ohne darüber nachzudenken, zu wem sie hier sprach.
Der Mann schnaubte. »Ja, das finden alle Mädchen. Wegen einer Frau hätte er fast sein Leben verloren. Er hat vergessen, auf der Hut zu sein.«
Silje war bedrückt. »Er hat wohl viele Mädchen?«
»Er ist jedenfalls nichts für dich.«
Da blieb er einen Augenblick stehen. Als er weiterging, ging er langsamer. »Übrigens könnte er so ein Mädchen wie dich brauchen«, sagte er trocken.
»Ein Mädchen wie mich?«
»Ja, eine starke, mutige und geistesgegenwärtige Frau mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Das könnte ihm vielleicht das Rückgrat geben, das ihm fehlt.«
»Ich bin weder stark noch das andere, was Ihr gesagt habt!«
Er drehte sich in der Dunkelheit plötzlich zu ihr um; so dicht, dass sie die Wärme und die Ausstrahlung seiner eigenartigen Persönlichkeit fühlte.
»Du nimmst dich eines Kindes an, das wahrscheinlich mit der Pest infiziert ist, und eines anderen, das du für eine Ausgeburt gehalten hast. Ohne Widerrede riskierst du dein Leben für einen Fremden und trittst als seine Ehefrau auf, als wärst du nie etwas anderes gewesen. Entweder bist du unbeschreiblich stark, oder du bist zu dumm, die Gefahren zu erkennen. Ich glaube allmählich an die letzte der beiden Möglichkeiten.«
Er sagte nichts mehr. Sie gingen nicht auf die Stadt zu, sondern weiter in den Wald hinein, bis sie zu einem Weg gelangten. Dort stand ein Leiterwagen mit stampfenden Pferden, und eine Handvoll Reiter warteten still in der Nähe. Hier im Mondschein war es heller, und Silje konnte erkennen, dass die blonden Locken des »Gefangenen« leuchteten. Er hatte kein Pferd, sondern stand neben dem Wagen. Als sie ihn sah, begann ihr Herz etwas schneller zu schlagen. Der Gedanke, seine schöne Gestalt nie wiederzusehen, bereitete ihr jetzt schon Kummer.
Das Menschentier, wie sie den Mann im Wolfspelzmantel im Stillen nannte, ging zum Kutscher und sprach lange mit ihm. Dann schwang er sich auf ein Pferd, und die ganze Reiterschar verschwand zusammen mit ihm.
Der Kutscher half ihr und den Kindern in den Wagen, und der schöne junge Mann, den sie gerettet hatte, reichte ihnen die Hand und sprang nach ihnen auf. Dann setzten sich die Räder knarrend in Bewegung.
Nun aber schien Siljes Willenskraft zu schwinden es war, als bekomme sie von außen keine Nahrung mehr. Trotz der Nähe des jungen »Gefangenen« schien die Verzauberung keine Kraft mehr über sie zu haben. So war sie wieder die einsame und hilflose Silje – müde, frierend und so hungrig, dass sie sich innerlich ganz leer fühlte. Nun hätte sie keinen Moment mehr gewagt, sich gegen die Knechte des Landvogts aufzulehnen.
Sie kämpfte jedoch beharrlich gegen die Apathie an, die sie zu überwältigen drohte. Sie saß mit geradem Rücken da, den Säugling unter ihrer Bekleidung, damit er so viel wie möglich von ihrer Wärme abbekam sofern sie überhaupt noch über Wärme verfügte. Es kam ihr nicht so vor. Das kleine
Weitere Kostenlose Bücher