Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
verbergen.
»Das kann man sagen«, sagte er gleichgültig, doch sie konnte wohl sehen, dass er sehr stolz darauf war. Und für diesmal vergaß er, seinen Herrn zu verleugnen. Silje nahm das als gutes Zeichen – er konnte ihr vertrauen.
»Aber... der königliche Brief? Mit Siegel und allem... Wie seid Ihr daran gekommen?«
»Danach hast du schon einmal gefragt, Silje. Aber wie du willst. Das war mein erster Auftrag bei den Rebellen. Wir brauchten einen solchen Brief... und ein Kurier kam angeritten. Tja, da hatten wir den Brief.«
»Und der Kurier?«
»Nein, der existiert nicht mehr. Aber ich muss sagen, dass wir diesen Brief wirklich dringend brauchten!«
Silje konnte sich gut vorstellen, was geschehen war, und sie musste alle ihre Kräfte zusammennehmen, um ihr Übelsein zu verbergen.
Heming ließ sich zurücksinken und legte die Arme hinter den Kopf. »Wie du siehst, Silje, so bin ich ziemlich wertvoll für die Bewegung. Aus verschiedenen Gründen, die ich dir nicht nennen kann.«
»Nein, das verstehe ich.«
Er trank das Bier aus und erhob sich.
»Wollt Ihr nichts zu essen haben?«, versuchte sie ihn aufzuhalten. »Ich hole gern etwas!«
»Nein, jetzt nicht. Ich habe wenig Zeit. Aber ich komme wieder. Bald, sehr bald.«
Die letzten Worte flüsterte er, und bevor sie sich versah, hatte er sie leicht auf den Mund geküsst. Dann war er fort.
Silje blieb vollkommen verwirrt stehen und hielt sich die Lippen. Er hatte sie geküsst! Der schönste Mann auf der Welt hatte
sie
geküsst, Silje Arngrimstochter, eine Magd, die nichts darstellte.
Und wie korrekt er sich benommen hatte! Es war von ihr nicht ganz richtig gewesen, einen Mann in ihr Zimmer zu lassen, aber von Heming hatte sie nichts zu befürchten. Er hatte selbst gesagt, dass er ein anständiger Mann sei, und das war er auch!
Trotzdem hatte sie einen etwas ekeligen Geschmack im Mund. Ihr hatte nicht gefallen, was er erzählt hatte, und vor allem nicht, wie er es erzählt hatte.
Aber er war ja noch so jung, das durfte sie nicht vergessen.
Sie lief zum Fenster, um einen letzten Blick von ihm zu erhäschen. Doch im selben Moment stieß sie gegen etwas, und das tat fürchterlich weh. Sie beugte sich hinunter, um sich das Bein zu reiben.
Doch was war das? Die Kiste? Die hatte im Weg gestanden. Eine Ecke davon lugte unter dem Bett hervor.
Aber die hatte sie doch schon lange nicht mehr angerührt.
Mit einem Ruck zog sie sie hervor und öffnete sie. Dort lag ihre Schürze, die Jacke und...
Sie fühlte ihr Herz schlagen, und die Hände begannen zu zittern.
Die Sachen, in die Dag eingewickelt gewesen war, als sie ihn gefunden hatte, waren fort!
Hemings weiter Umhang konnte so vieles verbergen...
Also deshalb hatte er so interessiert gefragt, ob sie die Sachen gut genug versteckt hätte, damit sie niemand stehlen konnte! Und sie war dumm genug gewesen, ihm in die Falle zu gehen und zu verraten, dass alles sicher in der Kiste unter dem Bett lag.
Interesse am Wohl des Kindes? Nein, danke!
Kummer und Enttäuschung stiegen in ihr hoch.
Nein, das konnte nicht sein, das konnte nicht sein!
Sie stürzte aus dem Haus.
Hoch auf dem Pferderücken ritt er geschwind den Hofweg hinab, er war beinahe schon auf der Landstraße. Ohne nachzudenken, jagte Silje ihm hinterher.
»Wartet!«, rief sie, und ihre schwache Stimme trieb fort über schneeweiße Äcker und Weiden. »Wartet! Bitte!«
Sie rannte die ganze Strecke zur Landstraße hinunter. Da war er schon lange in Richtung Trondheim verschwunden.
Silje lief weiter, ohne darüber nachzudenken, wie sinnlos es war. Ihretwegen hatte Dag das Einzige verloren, was er je im Leben besessen hatte!
»Bringt wenigstens den Schal wieder zurück«, rief sie schluchzend dem leeren Weg zu. »Das ist das Schönste, was er hat. Das ist seiner! Niemand darf ein Kind bestehlen!«
Einmal waren alle zusammen Dags Sachen durchgegangen. Das Leinenhemd war aus einem Kopfkissen genäht und am Kragen mit verschnörkelten Buchstaben bestickt. Benedikt hatte gemeint, dass dort C. M. stand. Und darauf war eine Krone, die Benedikts Meinung nach zu einem Baron gehörte.
Erst als sie sich dem Wald näherte, kam sie allmählich wieder zu sich. Der Weg lag plötzlich im Schatten der hohen Berggipfel. Die Sagen vom Eisvolk kamen ihr in den Sinn. Sie dachte daran, was Benedikt einmal von dem bösen Tengel erzählt hatte – dass er das Volk in diesem Teil des Tales von einem Gipfel aus beobachtete. Wie er mit Zauberei, Spuk und Magie
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