Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
er den Mantel um sie, und sie hatte das Gefühl, in einem geschützten kleinen Haus zu sitzen, das von seinem Körper erwärmt wurde.
Silje zögerte etwas. »Kann ich mich an Euch festhalten, Herr?«
»Ich glaube, das musst du sogar«, lachte er. »Sonst fällst du herunter.«
Vorsichtig und ängstlich legte sie den Arm um ihn und hielt sich am Hemdrücken fest. Er hatte einen gut gebauten und sehnigen Körper, das fühlte sie. Doch oberhalb ihrer Hand ahnte sie die gewaltig breiten, unnatürlich kräftigen Schultern. Sie versuchte, ein wenig Abstand zwischen sich und ihm zu halten, doch so zu sitzen war unmöglich, und mit einem Seufzer der Erleichterung und Geborgenheit lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter. Sie spürte seinen Kiefer und die Wärme seines Halses an ihrer Schläfe.
»Steht es so schlimm um ihn, dass er einem armen Kind die Kleider stehlen muss?«, fragte sie verärgert.
»Aber hast du es denn nicht begriffen, Silje?« Die leise Stimme vibrierte an ihrer Wange. »Benedikt hat mir von den Initialen C.M. und der Baronskrone erzählt. Und dass das Kind kurz hinter dem Stadttor gefunden wurde. Für Heming ist es kein großes Kunststück herauszufinden, wer die Mutter von Dag ist. Und dann wird er Geld von ihr erpressen. Das hätte er lange tun können, denn du glaubst doch wohl nicht, dass er die Kleider verkauft hätte – die stellen an sich keinen besonders großen Wert dar.«
»Wie gemein!«, rief Silje aus. »So die Freundlichkeit einer Frau auszunutzen! Wusste er von den Initialen?«
»Nicht genau, er wusste jedoch, dass eines der Kleider gekennzeichnet war. Er hatte wohl vor, es sich genau anzusehen, stelle ich mir vor.«
Silje setzte sich erneut besser zurecht, man konnte leicht hinunterrutschen. »Ich muss zugeben, dass ich mehrmals Dags Mutter verflucht habe, weil sie das hilflose Kind ausgesetzt hat, aber haben wir eigentlich das Recht, sie zu verurteilen? Was wissen wir denn schon über ihre Gründe?«
Der Mann antwortete nicht. In dem Wolfspelz war es warm und gemütlich, allein Siljes Nasenspitze guckte aus dem Fell hervor. Zu ihrem Entsetzen entdeckte sie, dass etwas in ihrem Körper vor sich ging. Ihr wurde warm, und sie zog sich etwas zurück. Der Mann ließ sich nichts anmerken, abgesehen davon, dass er sehr lange still war. Sie fühlte sein Herz gegen ihre Schulter schlagen. Schwere, rasche Schläge.
»Wie habt Ihr ihn gefunden?«, fragte sie. »Ich meine, hat er Euch erzählt, dass er Dags Sachen hatte?«
»Das tut jetzt nichts zur Sache, Silje. Ich möchte lieber wissen, wie es dir geht.«
Silje wurde sich plötzlich bewusst, dass sie ihre Hände um seinen Brustkasten gelegt hatte, dass eine quälende Hitze durch ihren Körper strömte und das Pferd rhythmisch dahinschaukelte. Sie antwortete der Wahrheit entsprechend, dass es ihr auf Benedikts Hof ausgesprochen gut gefiel.
»Doch du würdest gern wieder mit ihm zusammen malen?«
»Ja, woher wisst Ihr das?«
»Das hat er gesagt.«
»Dann habt Ihr also mit ihm gesprochen?«
»Ja. Ab und zu.«
Silje schwieg für eine Weile. »Darf ich Euch etwas fragen? Wo wohnt Ihr eigentlich? Wenn Ihr Euch nicht verstecken müsst, meine ich.«
Da lachte er. »Wenn ich mich verstecken
muss,
wohne ich oben im Wald in einem verlassenen Haus.«
Er deutete dort hin.
Silje zog die Augenbrauen hoch. »Dort bin ich vor nicht allzu langer Zeit entlanggegangen. Ich muss ganz in der Nähe gewesen sein.«
»Ich weiß. Ich habe dich und das kleine Mädchen gesehen.«
»Oh«, sagte Silje. »Wart Ihr es, der... der in der Nähe war? Der uns beobachtete?«
»Hast du das gemerkt? Ich habe gesehen, dass du stehenbliebst und dich umschautest.«
»Ja. Warum habt Ihr Euch nicht zu erkennen gegeben?«
»Ich wollte dich nicht unnötig erschrecken.«
»Ich hätte mich gefreut«, sagte Silje einfach.
Er holte tief Luft, als habe ihm plötzlich etwas Schmerzen zugefügt. Er musste sich zwingen, mit normaler Stimme zu sprechen.
»Als du da entlanggingst, machtest du einen verstörten Eindruck.«
»Ja. Das Schlachten. Mir taten die Tiere so leid.«
Sie merkte, dass er nickte, er verstand sie sicher. Dann sagte er laut: »Du hast also keine Angst vor mir?«
»Nein, warum sollte ich Angst haben?«
»Aber hat dir denn niemand erzählt... ?«
»Oh, ich habe wohl ihre dummen Reaktionen gesehen. Sie sind nur abergläubisch. Als hätte es etwas mit Zauberei zu tun, dass Ihr Kenntnisse über Medizin habt.«
Er machte eine ungeduldige Bewegung mit dem
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