Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
auch, dass sie, solange sie auf dem Hof sei, ihren Teil der Arbeit erledigen werde.
Sie begann, die eigentümliche Sprache Sols besser zu verstehen. Das Mädchen erweiterte außerdem seinen Wortschatz und bekam allmählich eine deutlichere Aussprache. Sol war wie eine Wildkatze. Die grünen Augen funkelten vor Unartigkeit, und kam ihr jemand in die Quere, wurde sie stur wie ein Esel. Manchmal aber schweifte ihr Blick in die Ferne, und das erschreckte Silje. Woran dachte die Kleine dann? Was sah sie?
Dag wuchs. Er wurde von Grete jeden Morgen stramm gewickelt, doch im Laufe des Tages lockerte Silje den Wickel ein wenig, und Dag hörte sofort auf zu schreien. Man konnte schon sehen, dass er blond werden würde. Doch ansonsten war er noch zu klein, um besondere Merkmale entwickelt zu haben. Sie spürte nur, wie gern sie es hatte, das kleine Leben, das sie in der seltsamen Nacht im Wald gefunden hatte.
Der Lebensrhythmus war derselbe, Tag für Tag. In der Winterzeit schlief man bis fünf Uhr morgens, dann wurde Feuer gemacht, und mit einem Kienspan in der Hand führten alle ihre Pflichten aus. Sie tranken ihr Morgenbier und aßen dazu etwas Lachs oder Pökelfleisch. Wenn die Arbeit in Stall und Scheune erledigt war, aßen sie am Vormittag um neun Uhr zu Mittag, im Winter erst um zehn Uhr. Darauf folgte harte Arbeit bis zum Abendessen, das sie um vier oder fünf Uhr einnahmen. Um neun Uhr gingen alle ins Bett.
Der Winter nahm seinen Lauf. Als das Weihnachtsschlachten vor der Tür stand, floh Silje in den Wald. Das wollte sie nicht sehen. Die Tiere, um die sie sich gekümmert, mit denen sie gesprochen und die sie gern hatte – das war zu viel für sie. Sie nahm Sol mit und trottete auf dem harten gefrorenen Waldboden aufgeregt umher, bis die Schlachtzeit vorüber war.
Eines Tages hielt sie während ihrer Wanderung inne, unangenehm berührt.
Sol sah fragend zu ihr auf.
Sie befanden sich oben auf der Anhöhe oberhalb von Benedikts Hof, in einer Gegend, die sie nie zuvor betreten hatten. Silje stand lange unbeweglich da, blickte sich um und ging dann wieder weiter.
»Da war nichts«, sagte sie erleichtert.
Aber da
war
etwas gewesen. Sie konnte nur nicht sagen, was. Ein Laut, ein Gefühl, dass da etwas in der Nähe war, eine Unruhe in ihrem Herzen?
Wahrscheinlich war es ein Elch. Raubtiere gab es diesen Winter nicht in der Gegend, sonst hätte sie nicht gewagt, mit dem kleinen Mädchen hinauszugehen.
Benedikt war für mehrere Tage fort; er musste in einem anderen Kirchspiel wohnen, während er dort malte. Er trank immer mehr und machte so gar keinen vergnügten Eindruck.
»Ich wünschte, du könntest bei mir sein, Silje. Wir hatten eine schöne Zeit, nicht wahr?«
»Unbeschreiblich schön!«, stimmte sie zu.
»Aber bei dieser Kirche geht das nicht. Ich wohne in einem elend kleinen Loch, und das kannst du schlecht mit mir teilen.«
Nein, das verstand sie.
Benedikts Seufzer kam tief aus dem Herzen.
Eines Abends kam er zu ihr herein – blau wie ein Veilchen und offensichtlich in philosophischer Stimmung. Silje hatte sich bereits schlafen gelegt, doch sie öffnete ihm die Tür. Er war der Herr des Hauses, ihr väterlicher Freund und ein vollkommen ungefährliches Exemplar des männlichen Geschlechts. Außerdem glaubte sie, er habe etwas Wichtiges mit ihr zu besprechen.
Dass sie sich selbst einen Bärendienst erwiesen hatte, erkannte sie jedoch sehr schnell.
Er brachte nur betrunkenes Zeug hervor, das sie so gut wie möglich zu beantworten versuchte. Aber dann wurde er sentimental.
»Ich bin ein einsamer Mann, Silje. Einsam und alt. Ich brauche deine Jugend, um mich daran zu wärmen. Wir verstehen einander, nicht wahr?«
Sein Gesicht kam näher, als er sich zu ihr auf ihre Bettkante setzte. Er war so nah, dass sie die schwimmenden Augen und jede einzelne Pore auf der Altmännerhaut erkennen konnte. Er sabberte leicht beim Sprechen.
»Ja, das tun wir«, murmelte sie.
Sie hatte unter dem Fell die Knie angezogen. »Aber nun ist es vielleicht das Beste, dass...«
»Du bist eine wunderbare Frau, Silje! Das hab ich schon in der Kirche gemerkt, alssu dastannns un gemalt hass, willsu-nich-auch-n-Schnaps, und ich sah deine Brüste im Porfil... Por... Profil, ja, denn ich versteh etwas davon, weißu, ich kann Schönheit beurteilen, und da hab ich gemerkt, dass ich noch nicht so ausgetrocknet bin, wie ich dachte. In meiner Hose regt sich noch einiges. Silje...«
»Entschuldigt, Herr Benedikt, aber wir dürfen die
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