Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
verurteilen, dass er Angst hat! Willst du wirklich wissen, wer dein Furcht einflößender Beschützer ist?«
»Ja, um Himmels willen, ja!«
»Sein Name ist Tengel«, sagte Benedikt und räusperte sich. »Tengel vom Eisvolk.«
7. Kapitel
Tengel vom Eisvolk? Es lief ihr kalt über den Rücken, als jage ein feuchtes Tier über ihre Wirbelsäule. Es war das Urtier der Angst, das seine Strahlen in ihrem Körper ausbreitete.
Vereinzelte Andeutungen kamen ihr in den Sinn:
Tengel hat kein Grab. Ei hat alle Alter – wie es ihm gerade passt. Er zeigt sich selten. Offenbart sich. Hat seine Seele an den Teufel verkauft.
»Nein!«, schrie sie. »Nein, das ist nicht möglich!«
»Selbstverständlich ist er nicht der
alte
Tengel«, sagte Benedikt. Silje jedoch hörte die Unsicherheit aus seiner bebenden Stimme heraus. »Nur abergläubische Narren denken das!«
Der Knecht machte wegen der mutigen Rede seines Bauern eine erschrockene Miene. Seine Stimme war unnatürlich hoch. »In dem Fall ist ein jeder Mensch ein Narr, Herr Benedikt. Ihr wisst, dass diese... Wesen Gaben besitzen, die weit über das natürliche Maß hinausgehen.«
Die Fähigkeit des Mannes, ihr jedes Mal zu Hilfe zu kommen, wenn sie es brauchte. Dass er ihre Stimmung erkannte – er wusste immer, wann sie niedergeschlagen oder deprimiert oder aufgeregt war, er musste ungeheuer empfänglich für solche Dinge sein. Seine Heilkenntnis, seine brennenden Hände...
Und wie war das bei ihrer ersten Begegnung gewesen? Sie, durch Erschöpfung dem Tod nahe, mit stumpfsinnigen Gedanken, hatte plötzlich vor den Männern des Landvogts geglänzt – hatte die nahezu unmenschliche Aufgabe bewältigt, einen Gefangenen zu befreien, als sei das gar nichts. Und danach, als der im Wolfspelz Gekleidete sie verlassen hatte, war ihre Willenskraft erloschen wie ein ausgebranntes Licht. Womöglich war das gar nicht
ihre
Willenskraft?
Aber vor allem – ihre unglaublich lebendigen Träume, in denen er als ein abgründiger Geist aus dem Schattenland stieg...
Silje versteckte ihr Gesicht hinter den Händen und stürmte in ihr Zimmer. Sie warf sich blindlings aufs Bett, kroch unter das Fell und zog es sich über den Kopf. Wie eine verschreckte Maus lag sie zusammengekauert da, als Benedikt und der Knecht zu ihr hereinkamen.
»Silje«, sagte der Maler flehend. »Versteh doch, dass das nicht er selbst ist! Es ist nur einer seiner unglückseligen Nachkommen!«
Nein, nein, so darfst du ihn nicht nennen, bat sie stumm. Ihr Magen verkrampfte sich wie bei einer Kolik.
»Aber wo wohnt er denn?«, rief sie heftig aus. Ihre Stimme wurde von dem Fell beinahe erstickt.
Benedikt zuckte die Schultern. »Das weiß niemand. Mir nichts, dir nichts taucht er einfach unter den Menschen auf. Und dann verschwindet er wieder. Spurlos.«
Sie stieß ein lang gezogenes Heulen aus, um nicht noch mehr hören zu müssen. Benedikt
glaubt,
dass mein Helfer der alte Tengel ist, dachte sie erschüttert. Was auch immer er behauptet, er glaubt es, auch er. Unter den
Menschen!
Hätte er es deutlicher ausdrücken können?
»Aber er gehört doch zu den Rebellen?«, fragte sie rasch, wie um ihn zu verteidigen, während sie vorsichtig über den Saum des Felles guckte.
»Das wüsste ich auch gerne.«
»Aber er hat in der Nacht, in der ich ihm begegnet bin, doch den jungen Heming gerettet!«
»Ich weiß nicht, in welcher Verbindung er zu Heming steht.«
»Ja, und wer ist eigentlich Heming?« Sie war erleichtert, dass sie das Gespräch auf ein anderes Thema lenken konnte.
Benedikt sandte dem Knecht einen hilflosen Blick zu. »Das wissen wir im Grunde nicht. Vor ein paar Jahren tauchte er hier in Trendelag auf. Und seitdem treibt er sich bei den Frauen herum
Die Bemerkung machte Silje nicht das Geringste aus. Ihre Gefühle für Heming waren völlig erkaltet. Ein selten schönes Gesicht – das hatte er, und wahrscheinlich war das der einzige Grund gewesen, warum er so auf sie gewirkt hatte.
»Ich sehe, du hast ihn vergessen«, sagte Benedikt.
»Das ist gut. Kleine Mädchen verwechseln Bewunderung oft mit Verliebtsein. Sie schwärmen für das schöne Äußere, erkennen jedoch später, dass die äußere Schönheit des Angebeteten durch ihre eigene Verliebtheit entstanden ist – und nicht umgekehrt.«
Er kehrte wieder zum Thema zurück. »Heming lebte eine Zeit lang bei einem Bauern hier im Kirchspiel, aber nachdem er sich mit den Rebellen zusammengetan hatte, hatte er keine feste Bleibe mehr. Er ist einfach
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