Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
auch völlig erschrocken zusammen, als die eine Halbtür geöffnet wurde.
In der Dunkelheit glommen die katzenhaften Augen eines alten Mannes.
Silje verneigte sich vor dem misstrauischen, knorrigen Gesicht, das eine gewisse Ähnlichkeit mit Tengels hatte.
Bevor sie ihre Sprache wiedererlangt hatte, ertönte von drinnen eine klare, ironische Stimme.
»Das ist Tengels Frau. Lass sie rein, Grimar!«
Die untere Hälfte wurde geöffnet. Silje überschritt eine hohe Schwelle und betrat einen Lehmboden. Der Gestank von Alter und Unreinlichkeit schlug ihr entgegen, hauptsächlich jedoch roch es nach eingeschlossenem Rauch.
Drinnen war es unglaublich dunkel. Die Haut über dem Rauchabzug war schwarz und verrußt, und eine andere Lichtquelle gab es nicht. In einer altmodischen Feuergrube auf dem Boden glomm etwas Glut, doch sie gab nicht sonderlich viel Licht her.
Es dauerte eine Weile, bis Silje in dem schwarzen, verräucherten Raum etwas erkennen konnte. Am Schluss aber gelang es ihr, eine Gestalt auszumachen, die auf einem kurzen Bett in der Ecke saß.
Sie verneigte sich tief, aber es schien so unangebracht, in diesem Haus ein »Gott mit Euch« zu wünschen, dass sie stattdessen sagte:
»Guten Tag, Mutter Hanna! Ich bin Silje. Da Ihr beide zu Tengels engsten Verwandten gehört, habe ich mir erlaubt, zu Besuch zu kommen. Ich habe Euch auch etwas mitgebracht, wenn Ihr es nicht verschmäht. «
Konnten sie hören, wie ihre Stimme zitterte?
Die alte Frau grunzte etwas. Silje konnte ihre Gesichtszüge nicht erkennen; es war zu dunkel. Sie hatte aber das Gefühl, etwas Uraltes zu sehen, und es schien, als würde sie genau beobachtet. Nun war auch Grimar zu Silje herangetreten. Er stand direkt hinter ihr, und sie konnte seinen Atem im Nacken spüren.
Für einen Augenblick wurde sie von wilder Panik ergriffen und wäre am liebsten davongestürzt. Die Stille im Raum, der ekelhafte, beißende Geruch vermischt mit Rauch – doch vor allem war da etwas Unbehagliches in der Luft, etwas Unbekanntes, etwas Verhextes, für das sie keinen Namen hatte – Todesangst beschlich sie.
Doch dann nahm sie sich zusammen und richtete sich gerade auf. »Kann ich das irgendwo abstellen? Das Holzkästchen muss ich wieder mitnehmen, denn das gehört ins Haus, in dem ich wohne. «
Als Grimar sie am Arm nahm, hätte sie um ein Haar laut aufgeschrien. Aber er wollte ihr nur den Tisch zeigen.
Sie nahm das Essen heraus – das Brot, das Stück Schinken, die Weihnachtswürste, die Butter und den Käse, das meiste, was sie von Benedikts Haus mitbekommen hatte. Die alte Frau hatte sich besser zurechtgesetzt und reckte den Hals. Silje hatte schon erkannt, dass sie hier das Sagen hatte, deshalb wandte sie sich an sie.
»Wenn es etwas gibt, was ich für Euch tun kann, dann sagt es bitte. Hilfe im Haus oder dergleichen. Ich kann Tengel bitten, für Holz zu sorgen. «
»Tengel!«, schnaubte die Alte spöttisch. »Tengel ist ein Narr! Er hat die Kraft und will sie nicht nutzen, das Einzige, was er will, ist, sie zu zerstören. Ich will Tengel hier nicht haben. Und was könntest du schon in diesem Haus ausrichten? Solche Arbeit liegt dir nicht. «
Silje bekam langsam Angst vor dem Zorn der Alten. »Tengel ist wirklich sehr gut zu mir«, sagte sie leise. Sie fand, sie müsse ihn verteidigen, auch wenn es die Alte erzürnte.
»Aber Kinder will er dir nicht machen«, warf Hanna in den Raum. »Er ist der Einzige, der die Kraft weitergeben kann, und die will er auslöschen!«
Woher weißt du das alles?, dachte Silje bange. Sie liegt doch nur da – trifft keinen Menschen.
»Er ist nicht der Einzige«, wandte sie ein. »Sol...«
»Sol ist ein toter Ast. Du bist es, Mädchen, die das Erbe des ersten großen Tengel weitergeben wird. Du bist die Einzige, die die wahnsinnigen Ideen seiner Nachkommen verändern kann. Du, nur du!«
Silje senkte den Kopf. »Ihr wisst, dass ich es will, Mutter. Ihr kennt meine Wünsche, nicht wahr? «
»Ja«, lächelte die Alte finster. »Ich kenne deine Gefühle, ich kenne das Feuer, das in dir brennt. Und du bist Tengels Frau, denn es ist mehr als die Sehnsucht nach Nähe, die euch verbindet. Ich werde dir einen Trank geben, ich werde ihn dazu bringen, dass
»Nein!«, antwortete Silje entschieden. »Die Liebe, die von Zauberei kommt, will ich nicht. Wenn es nicht ohne Zauber geht, dann bin ich nicht stark genug, um ihn für mich zu gewinnen. «
»Du bist mit Sicherheit das mutigste kleine Geschöpf, das mir je begegnet
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