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Die Saga vom Eisvolk 02 - Hexenjagd

Die Saga vom Eisvolk 02 - Hexenjagd

Titel: Die Saga vom Eisvolk 02 - Hexenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margit Sandemo
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warfen.
    Sie konnten es fast nicht mehr sehen. Aber sie wußten, daß sich ihr Zuhause irgendwo dahinten unter dem dichten Rauchteppich befand, der über dem Tal lag. Dorthin würden sie niemals mehr zurückkommen. Lange standen sie ganz still. Dag weinte, versuchte es aber zu verbergen, denn er wollte nicht zeigen, wieviel er begriffen hatte. Tengel legte seinen Arm um ihn.
    »Ich werde das Tal vermissen«, sagte Silje mit halberstickter Stimme. »Wir haben so viele gute Erinnerungen daran. Wir - unsere kleine Familie - waren glücklich dort.« »Ja.«
    »Deshalb sollten wir nicht nachtragend sein, daß die älteren Kinder die unseren gequält und unterdrückt haben. Wenn man selbst nichts hat, worauf man stolz sein kann, muß man sich einen Sündenbock suchen. Und die Nachkommen des bösen Tengel haben sicherlich auch nicht mit Schlägen gespart, nehme ich an.« »Ja. Die armen Kinder.«
    Silje wußte, daß er damit nicht seine eigenen meinte. »Tengel«, brach es plötzlich in unsagbarem Leid aus ihr hervor. »Weißt du noch, was Hanna einmal sagte? Daß wir das Eisvolk sind? Wir und sonst keiner?«
    »Ja. Nun ist entsetzlich klar geworden, was sie gemeint hat.«
    »Es hat also niemand überlebt. Ach Tengel, ich kann das gar nicht zu Ende denken, ich ersticke!«
    In alle Einzelheiten zu gehen… an jede Seele im Tal zu denken, an die Kinder…
    Nein, ihr wurde schwindlig, sie konnte nicht, sie wollte nicht. Dann richtete sie sich auf.
    »Aber Eldrid? Und ihr Mann? Sie war doch auf jeden Fall eine vom Eisvolk.«
    »Ihre Sippe stirbt mit ihr aus.«
    »Und Heming?«
    »Heming ist jetzt vermutlich tot. Sich freizukaufen geht sicher nicht so einfach, wie er sich das gedacht hat. Es liegt auf der Hand, was geschehen ist. Wie ich gesagt habe: Er wurde wieder eingefangen. Und um sein erbärmliches Leben zu retten, hat er uns verraten und ihnen den Weg zum Tal des Eisvolks gezeigt. ‚Dieses Rattenloch voller Hexen und Hexenmeister', wie es draußen in der Welt genannt wird.«
    Silje sah, wie Sols Hände sich um die Öffnung des Sacks krampften, und zwischen ihren zusammengepreßten Lippen stieß sie fast lautlos flüsternd hervor: »Heming! Heming heißt er also.«
    Dag war sachlicher. »Dann haben wir doch eigentlich Glück gehabt?«
    »Das kann man sagen«, antwortete Tengel trocken.
    »Kommt jetzt, wir müssen weiter.«
    »Die ganze Nacht?«
    »Ja. Hier gibt es nirgends einen Platz zum Ausruhen, und die Nacht ist hell genug. Es ist sehr wichtig, einen großen Vorsprung zu haben - falls sie uns verfolgen. Wir müssen rasch hinaus auf den Gletscher, und dort werden wir Schwierigkeiten bekommen. Am besten gehe ich mit einem Stock voraus und taste mich Schritt für Schritt vor, damit wir nicht in einen unsichtbaren, schneebedeckten Gletscherspalt fallen. Alle anderen müssen in einer Reihe hinterher gehen - das Pferd auch, so schwer, wie es ist. Wir werden ihm etwas unter die Hufe binden, damit es auf dem Eis eine größere Tragfläche hat. Der Marsch über den Gletscher wird eine lange Zeit dauern, und er ist lebensgefährlich, aber wir haben keine andere Wahl.« Silje nickte. Sie hatte ihren Platz wieder mit den Kindern getauscht und ging an Tengels Seite durch die scharfkantige Steinwüste der Felsenschlucht. Sie half dem Pferd dabei, die Stellen zu finden, auf die es seine Hufe setzen konnte. Das Tier war jetzt überaus nervös, es scheute und wollte ständig ausbrechen, völlig verängstigt durch die finstere, erschreckende Landschaft und die Schwierigkeiten, Tritt zu fassen.
    Das Tal des Eisvolks war nicht mehr zu sehen.

1. KAPITEL
    Es gab nichts, das die Katastrophe angekündigt hätte.
    Jedenfalls nichts Auffälliges.
    Die Riemen knarrten in den Dollen bei jedem Schlag, mit dem die Ruderblätter in das stille Wasser tauchten. Am Heck saßen die drei Kinder und plapperten miteinander.
    Ihre hellen Stimmen schallten über den See, Sols herausfordernd keck, Dags ruhig und ein wenig kühl, und Livs lebhaft phantasierend, immer wieder mit vielen »Psst« und »Schscht« von den beiden älteren Kindern gedämpft.
    Silje, die auf der mittleren Ruderbank saß, blickte Tengel an. Er ruderte mit langen, gleichmäßigen Schlägen, den Blick aufmerksam auf die Kinder gerichtet. Er war immer ein wenig unruhig, daß ihnen etwas passieren könnte.
    Doch sie waren gut erzogen, sie hatten ihre Freiheiten, aber innerhalb gewisser Grenzen, deshalb brauchte er eigentlich gar nicht so besorgt über sie zu wachen, dachte Silje.

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