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Die Saga vom Eisvolk 02 - Hexenjagd

Die Saga vom Eisvolk 02 - Hexenjagd

Titel: Die Saga vom Eisvolk 02 - Hexenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margit Sandemo
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wo sie wohnt - aber sie geriet damals in große Not und hat dich verloren. Wie das kam, wissen wir auch nicht, nur, daß ich dich gefunden habe…«
    Die Kinder beugten sich gespannt zu ihr herüber, und Silje mußte weiter erzählen.
    »Das war eine merkwürdige Nacht, Kinder. Es war klirrend kalt, und Feuer loderten am Himmel über Trondheim. Ich hatte alle meine Lieben durch die Pest verloren und war mutterseelenallein. Ich war hungrig und müde und hatte kein Dach über dem Kopf. Da fand ich dich, Sol, neben deiner toten Mutter. Ich nahm dich mit mir, weil ich dich lieb hatte und dir helfen wollte. Du wolltest deine Mutter nicht verlassen, aber das mußtest du, sonst wärst du auch gestorben. Das verstehst du doch, nicht wahr?«
    Sol nickte ernsthaft. Dag verkündete mit seiner ernsten, ein wenig strengen Stimme, die seine Intelligenz verriet:
    »Syver ist tot. Sie haben ihn den ganzen Winter über im Schuppen aufbewahrt. Und Inga auch. Und Svein. Dann haben sie alle begraben.«
    Tengel nickte. »Ja. Der Winter war in diesem Jahr sehr hart. Aber dann wißt ihr ja, was es heißt, tot zu sein, nicht wahr?«
    Die Kinder murmelten zustimmend und wendeten sich dann wieder Silje zu, um die Fortsetzung der Geschichte zu hören.
    »Welcher Hof ist Trondheim?« fragte Dag.
    »Hof? Das ist eine große Stadt. Draußen.«
    »Wo draußen?«
    »Draußen hinter diesen Bergen.«
    Der Junge sah sie mit forschenden Augen an. »Ist da noch etwas hinter den Bergen?«
    Silje und Tengel wechselten einen erschrockenen Blick.
    Das hier war etwas, das sie ganz offensichtlich versäumt hatten!
    »Die ganze riesengroße Welt ist dahinter«, sagte Tengel mit unsicherer Stimme. Das hatte ihn jetzt doch erschüttert. »Aber davon erzählen wir euch ein andermal.
    Jetzt wollen wir Silje zuhören.«
    Ein Seetaucher schrie über dem Wasser, und der Nebel senkte sich langsam auf den See herab, aber niemand dachte daran, daß es spät war. Es war milder, wunderbarer Sommer!
    Silje warf Tengel einen beunruhigten Blick zu. Was ging in ihm vor heute abend? Übrigens die letzten Tage auch schon. Worauf lauschte er, und warum blickten seine Augen so sorgenvoll? Sie kannte ihren Mann und wußte, wie empfindsam er war. Gerade in diesem Moment sah er aus, als ob er irgend etwas nicht einordnen könnte. Das ängstigte sie ein wenig.
    Sie wandte die Augen ab und fuhr fort: »Und als du und ich weitergingen, Sol, fanden wir Dag, der genauso einsam war wie wir, aber viel, viel kleiner.«
    Wie klein, das wagte Silje nicht zu erzählen. Sie wollte nicht erzählen, daß er sogar noch seine Nabelschnur getragen hatte. Er sollte niemals etwas von dem Verbrechen seiner Mutter erfahren!
    »Übrigens bist du es gewesen, Sol, die ihn weinen hörte.
    Also haben wir es dir zu verdanken, daß Dag heute am Leben ist.«
    Die Kinder sahen einander an, prüfend - als ob sie sich vortasteten. Dann schoben sich ihre Hände vorsichtig ineinander. Zwei kleine, klebrige Kinderhände.
    Eigentlich hielten Dag und Liv am meisten zusammen, dachte Silje. Sol war für die beiden Kleineren allzu rauhbeinig und merkwürdig. Aber es gab niemals einen Zweifel daran, daß sie sich alle drei liebhatten. Das schwere Leben in der Einöde trug wohl auch dazu bei, daß sie alle sich sicherer fühlten, wenn sie zusammenhielten.
    »Und dann, wißt ihr, als wir alle drei so gingen - nun ja, natürlich habe ich Dag getragen - und nicht wußten, was wir machen sollten, war plötzlich Tengel da. Keiner von uns hatte ihn jemals vorher gesehen.«
    Ein Schauer durchlief Silje, als sie sich diese Nacht ins Gedächtnis rief. Die erste Begegnung mit Tengel. Die Galgen, der Henker, der Gestank des brennenden Scheiterhaufens… Sie richtete sich auf und schob die schaurige Erinnerung von sich.
    »Und Tengel hat sich um uns gekümmert«, sagte sie mit warmer Stimme. »Er hat uns alles gegeben, was wir brauchten, und seitdem haben wir zusammengehalten wie eine kleine Familie - wir fünf.«
    Tengel lächelte wehmütig. Er sagte nichts von seiner eigenen Einsamkeit, die viel tiefer gewesen war als ihre.
    Ihre Einsamkeit war äußerlich und offenkundig gewesen, seine war ein tiefer Schmerz in der Brust. Der Abstand zwischen ihm und allen anderen Menschen, die Gewißheit, daß alle seine Nähe scheuten. Er erinnerte sich schmerzvoll an die Begegnung mit Silje und Sol, wie beide zusammengezuckt waren beim Anblick seiner mächtigen, mystischen Gestalt. Und er erinnerte sich, wie schwer es ihm gefallen war, diese

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