Die Saga vom Eisvolk 02 - Hexenjagd
es unter ihnen kluge Alte gab, die die Leute von ihren Krankheiten befreien und das Übel in einen Baum verbannen konnten. Irgendwo sollte es so einen Baum geben, aber sie wußte nicht, wo. Er war steinalt und krank, voller schrecklicher, verknoteter Auswüchse, und es war lebensgefährlich, in seine Nähe zu kommen, denn wenn man ihn berührte, konnte man von den Krankheiten angesteckt werden.
Alles das erinnerte an Tengels Allee, obwohl dorthin keine Krankheiten und Plagen verbannt worden waren.
Dort war es, als ob…
Nein, sie konnte es nicht richtig benennen, was dort zu passieren schien.
Trotzdem grübelte sie über ihre Assoziationen nach. Ob es nun so war, wie Tengel behauptete, daß seine bösen Ahnen überhaupt nichts mit Satan zu tun gehabt hatten…
Ja, denn Tengel glaubte ja, daß es gar keinen Fürsten der Finsternis gab. Könnte es dann nicht so sein, daß der erste Tengel einem anderen Volk angehört hatte? Daß er ein Kvene war? Die Kvenen kamen aus einem Land, das Finnland hieß, das wußte Silje. Aber die Finnen waren doch nicht so wie Tengel, Hanna oder Grimar. Obwohl es sicherlich viele Zauberkundige unter ihnen gab. Oder vielleicht war der böse Tengel den Kvenen auf ihrer Wanderung nach Westen, nach Norwegen, gefolgt, und er selbst kam noch weiter aus dem Osten? Aus einem Land der Sagas und der Schrecken, das sie nicht kannte?
Nein, all das waren nur Spekulationen. Tengel hatte doch selbst gesagt, daß es keinen Grund gab anzunehmen, sein Stammvater sei kein Norweger gewesen.
Die Kvenen waren ein kleinwüchsiges Volk, hatte sie gehört. Und Tengel war ein Riese. Außerdem waren sie auch nicht so überaus dunkel… aber hohe Wangenknochen hatten sie, genau wie Tengel. Kurze Nasen…
Nein, jetzt war sie schon wieder dabei. Sie richtete sich mit einem Ruck auf und sagte schaudernd:
»Ich wünschte, er hätte das nicht gemacht, was er mit den Bäumen gemacht hat.. Ich habe schon angefangen, alle unsere Bäume voller Angst und Sorge zu beobachten.«
»Und, sind sie gesund?« fragte Charlotte leise.
»Ja. Sie sind alle gesund.«
Es wurde still im Atelier.
Tengel war wieder zum Schloß Akershus bestellt worden.
Das kam hin und wieder vor, und er versuchte, ihrem Wunsch Folge zu leisten, ohne daß die Armen darunter zu leiden hatten und ohne sie zu vernachlässigen, nur weil die auf dem Schloß ein wenig vornehmer waren.
Es war jetzt lebhaft und hektisch auf Schloß Akershus.
Noch bevor er die Festungsmauern passiert hatte, sah er große Veränderungen. Man war dabei, ein italienisches Bastionssystem zu bauen, mit steinbewehrten Erdwällen auf dem sogenannten Övrevoll, der oberen Wallanlage.
Und als er in den Schloßhof kam, fiel ihm die enorme Betriebsamkeit auf. In der Nacht waren einige dänische Gäste angekommen, und einer von ihnen war während der Reise krank geworden.
Tengel verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln, während er durch die dunklen Gänge eilte, die nur an den allernotwendigsten Stellen beleuchtet waren. Silje hatte ihren König endlich doch noch zu Gesicht bekommen.
Zwei Könige sogar. Er hatte sie mit hierher genommen, als dem neuen König, Kristian IV., vor drei Jahren gehuldigt werden sollte. Silje war wohl etwas enttäuscht gewesen, denn sie hatte ungemein hochgeschraubte Erwartungen gehabt. Der König war ein Jüngling von vierzehn Jahren gewesen, zwar überaus prachtvoll und kostbar gekleidet, aber ansonsten ziemlich gewöhnlich.
Sie hatten natürlich an den Feierlichkeiten selbst nicht teilnehmen dürfen, sondern draußen bleiben müssen, als er die Huldigungen des Volkes entgegennahm. »Was hast du denn erwartet?« hatte Tengel gelacht. »Einen Märchenkönig mit Krone und goldenem Zepter?«
Nein, da war doch ihre erste Begegnung mit einem König wesentlich prachtvoller gewesen. Das war im November 1589, als die Hochzeit des schottischen Königs Jakob VI.
mit der Schwester Kristians IV, Anna, zufällig in Norwegen stattfand. Das Schiff, das Prinzessin Anna nach Schottland bringen sollte, ging vor der norwegischen Küste unter, und der ungeduldige Bräutigam reiste zu ihr nach Oslo. Das war vielleicht eine Hochzeit gewesen! Silje, die so lange gebettelt hatte, bis er einwilligte und sie nach Oslo fuhren, hatte den Hochzeitszug aus nächster Nähe miterlebt, und danach hatte sie ein halbes Jahr lang von nichts anderem gesprochen.
Aber das war jetzt fünf Jahre her, und das meiste ihrer Begeisterung war inzwischen verflogen.
Ein
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