Die Saga vom Eisvolk 02 - Hexenjagd
Patienten fertig war, ging er zu den Männern ins Nebenzimmer. Er beugte sich über ihren Tisch und bat einen von ihnen, in der Nähe des alten Grafen zu bleiben, für den Fall, daß er Hilfe brauchte.
Die beiden jungen Höflinge versprachen, sich bereit zu halten, und keiner von ihnen bemerkte, daß Tengel ein Pulver in Jeppe Marsvins Becher rieseln ließ.
So kam es, daß der verbrauchte Kavalier ein panisches Nein schreien mußte, als das junge Mädchen, das er zu verführen gedacht hatte, später am Abend sein Zimmer betrat. Denn Jeppe Marsvin saß in dem kleinen Häuschen, das zum Gästezimmer gehörte, und hatte große Probleme mit seinem rebellischen Gedärm.
Tatsächlich verbrachte er die meiste Zeit seines Aufenthaltes in Norwegen dort in dem kleinen Häuschen.
Jedem auf Akershus kam die Geschichte über die mißglückte Eroberung zu Ohren, und Herr Marsvin mußte viele höhnische Bemerkungen einstecken. Das Gerücht verbreitete sich auch nach Dänemark, und es hieß, er wäre danach ein rechter Pantoffelheld geworden, der die Abende ganz gesittet mit seiner galligen Ehefrau zu verbringen hatte.
Aber er bekam nie zu wissen, daß es seine Begegnung mit Charlotte von Meiden vor dreizehn Jahren gewesen war, die ihm die Schmach beschert hatte. Er hatte Charlotte sicher schon völlig vergessen, und Tengel hegte ganz und gar nicht den Wunsch, ihn irgendwie in ihr ruhiges Leben auf Grästensholm und in der Lindenallee einzubeziehen.
Und das tat Charlotte auch nicht. Sie wußte natürlich nichts von dem Besuch, den ihr ehemaliger Liebhaber Schloß Akershus abgestattet hatte. Erst viele Monate später erzählte Tengel ihr von der Begegnung mit Jeppe Marsvin, und da lachte sie aus ganzem Herzen - und nicht wenig schadenfroh. Und sie registrierte gerührt und dankbar, daß Tengel völlig auf ihrer Seite stand.
Nein, Charlotte hatte ja Dag und war es zufrieden. Sie ging so sehr auf in allem, was sein Wohl und Wehe betraf, daß er sich manchmal peinlich berührt fühlte. Aber seine Großmutter, die Baronin, stand ihm bei, denn sie war eine kluge alte Dame. Wenn es gar zur arg wurde, schickte sie ihn hinüber in die Lindenallee, damit er sich ein wenig erholen konnte. Und Charlotte verstand und gelobte Besserung.
Aber Dag fühlte sich wohl auf dem »Schloß«. Alle hatten Angst gehabt, daß diese Umwälzung in seinem jungen Leben eine Tragödie heraufbeschwören könnte, aber alles war ganz reibungslos gegangen. Es fand es ganz und gar nicht übel, Einzelkind zu sein und verwöhnt zu werden, nachdem er früher alles mit den anderen Geschwistern hatte teilen müssen. Und der ausgesprochene Perfektionismus auf Grästensholm, wo jedes Detail stimmte und nichts dem Zufall überlassen blieb, entsprach seinem sensiblen Gemüt, seinem anspruchsvollen, pedantischen Wesen. Auf dem Lindenhof dagegen nahm man es nicht so genau mit einem Fleck hier und da oder mit einem vergessenen Kleidungsstück über der Stuhllehne.
Natürlich vermißte er jemanden, mit dem er flüstern und kichern konnte, wenn er abends in seinem Bett lag, und manchmal war es schon einsam, so ganz allein durch all die Säle und Gänge auf Grästensholm zu wandern, aber er hatte ja seine Familie gleich nebenan. Und er hatte Liv.
Sie besuchte ihn fast jeden Tag. Sie bekam Unterricht bei Charlotte, zusammen mit Are, und sie konnte Dags Gedankengängen folgen. Are war so viel jünger, und ihm gefiel es am besten im Pferdestall oder in der Scheune.
»Ich werde nach Kopenhagen fahren und an der Universität studieren«, sagte Dag, als er und Liv eines Tages an der Bildergalerie entlang gingen.
»Wann wirst du fahren? Jetzt?«
»Nein, wenn ich älter bin. Ich habe mir überlegt, Professor zu werden oder Auktionator oder sowas.«
Kürzlich hatte auf einem Hof in der Nähe eine Auktion stattgefunden, und Dag war sehr beeindruckt gewesen von der Atmosphäre und den Hammerschlägen des Auktionsleiters.
Liv sagte nichts. Sie fand es traurig, daß er fortgehen würde.
Dag fuhr fort: »Und Mutter Charlotte sagt, daß sie mir irgendein Mädchen aus dem Hochadel vorstellen will, vielleicht eine bei Hofe, die ich dann heiraten kann.«
Liv schwieg immer noch.
»Sie wird dir auch einen reichen Kaufmann oder sowas besorgen, weil du so süß bist. Aber bei Sol wird es schwieriger, sagt sie, ich weiß auch nicht, warum. Sol ist doch auch sehr süß, findest du nicht?«
»Doch, das ist sie wirklich! Igitt, ich will nicht heiraten, sowas ist albern.«
»Finde ich
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