Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund
schicken.«
»Nein, das wirst du nicht tun. Ich komme gut allein zurecht, ich bin es ja gewöhnt, daß man mich vergißt. Wie schön war es doch, als Laurents und ich noch allein waren. Da hatte er für mich Zeit, und er war seiner alten Mutter gegenüber so aufmerksam. Jetzt hingegen muß er sich abschuften, um seine anspruchsvolle Frau zufriedenzustellen. Er, der er jedes Mädchen aus den wirklich vornehmen Familien hier in der Stadt hätte haben können. Alle jungen Frauen in Oslo waren hinter ihm her, und dann mußte er sich ein Fräulein Habenichts vom Lande aussuchen!« Die letzten Worte spukte sie fast aus.
Liv versuchte, nicht zuzuhören. Sie wußte, daß Lauren und seine Mutter nicht lange allein im Haus gewohnt haben konnten, denn der Vater starb kurz vor der Hochzeit. Eine andere Sache, über die Liv nachgegrübelt hatte, war die Krankheit der Schwiegermutter. Wenn sie etwas interessiert! Skandale und dergleichen, konnte sie lange Wege gehen. Aber wenn nichts passierte, dann lag sie auf dem Sofa und war so krank, so schrecklich krank…!
»Ja, wenn es so ist, daß es Euch besser geht, dann gehe ich jetzt«, sagte Liv unsicher. »Habt Ihr alles, was Ihr braucht?« »Geh du nur«, sagte die ältlich Frau matt.
Sollte Liv wirklich ausgehen dürfen? Sie würde danach wohl eine Ladung von spöttischen Bemerkungen über sich ergehen lassen müssen, aber das half nichts. Sie fühlte, wenn sie nicht bald aus diesem Haus herauskam, dann würde sie ersticken. Und nun, nun sollte sie wirklich gehen dürfen! Oh nein, das sollte sie nicht!
Ihre Schwiegermutter hatte ganz und gar nicht die Absicht, ihr die Freude zu gönnen, etwas anderes zu sehen. Als sie gerade gehen wollte, griff die Schwiegermutter sich an die Gurgel. Ihrem Hals entstiegen einige röchelnde Laute. »Oh, ich bekomme keine Luft! Ich bekomme keine Luft!«
Liv rannte nach dem Riechfläschchen. »Soll ich den Arzt holen?« fragte sie, als die Schwiegermutter wieder etwas zu sich gekommen war.
»Nein, nein. Wir können einen so beschäftigten Mann nicht mit solchen Bagatellen belästigen. Das würde sich schön ausnehmen, wenn sich nicht meine eigene Familie um mich kümmern würde!«
Liv sah das bleiche, leidende Gesicht und resignierte. Sie sandte eine Absage an die Frau, die sie eingeladen hatte. Kurz darauf genas die Schwiegermutter erstaunlich rasch, und es währte nicht lange, bis ihr alter Gesundheitszustand soweit hergestellt war, daß sie erneut auf der Schwiegertochter herumhacken konnte.
Sol erwachte jäh von einem halberstickten Schrei. Zugleich setzte sich Jacob Skille auf.
Es war mitten in der Nacht und recht dunkel. Der Mond erhellte ein sonderbares Szenario. Die Pferde wieherten und waren unruhig. Zwei Männer knieten auf Jörgen, der offenbar um sein Leben kämpfte. Auch auf Skille stürzten sich zwei Männer.
Sol reagierte unmittelbar und instinktiv. Sie schnappte sich einen Stein und schlug ihn mit voller Kraft auf den Kopf des einen Mannes, der auf Jörgen kniete. Noch bevor der andere aufsehen konnte, hatte sie sein Gesicht schon mit dem Stein zerschmettert.
Jörgen rang nach Luft, offenbar hatten sie versucht, ihn zu erwürgen. Das Blut der beiden Männer lief an ihm herunter, aber Sol hatte keine Zeit, sich damit zu befassen. Sie drehte sich um, um Skille zu Hilfe zu kommen.
Aber das war überflüssig, denn der hatte sein Messer gezogen und den einen bereits getötet. War er doch glücklicherweise rechtzeitig aufgewacht. Nun kämpfte er mit dem anderen Räuber einen Kampf auf Leben und Tod. Noch bevor Sol sich entscheiden konnte, ob sie eingreifen sollte oder nicht, kam ein anderer Mann aus dem Wald gestürmt und griff sie an. Sol kämpfte so gut sie konnte, doch er hatte sie von hinten angefallen, und sie konnte nicht verhindern, daß der Räuber sie aufs nächste Pferd warf und mit ihr davonritt. Ihr gelang es immerhin noch, einen Blick nach hinten zu werfen und zu erkennen, daß Skille den anderen Mann getötet hatte und nun auf die Pferde zustürmte.
Sols erbitterte Flüche darüber, daß sie verschleppt werden sollte, mußten den guten Dragoner erschüttert haben. Solche Worte nahm eine wehrlose Jungfrau nicht in den Mund! Aber wahrscheinlich hörte er sie gar nicht so bei diesem besessenen Ritt. Sol warf sich hin und her, biß und kratzte. »Beug dich runter!« hörte sie Skille rufen, während ihr die Zweige eines Baumes ins Gesicht peitschten.
Sie gehorchte unwillkürlich. Ein Schuß erscholl über dem
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