Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund
nichts mehr schaden«, sagte die Frau. »Von denen lebt doch jetzt niemand mehr! Der Hauptmann hat sie sicher vor Ewigkeiten geschnappt!« »Naja«, sagte der Mann nach langem Nachdenken. »Aber ich habe meiner Mutter versprochen, es niemals zu verraten.«
Sol kramte in ihrem Beutel. Noch besaß sie die Silbertaler, die sie von der Dame erhalten hatte, die sie auf dem Schiff nach Norwegen begleitet hatte. Besser als hier konnte sie sie nicht anlegen, dachte sie. Nicht allein um ihretwillen, sondern auch wegen der alten Leute. »Hier, nehmt diese beiden, für jeden einen.
Die Alten machten große Augen. Mit zitternden Händen nahmen sie das Geld in Empfang. So viel hatten sie noch nie besessen, sagten sie.
Sie gingen sofort ins Haus, um das Geld zu verstecken, und Sol hörte, wie sie drinnen mit einander sprachen. »Das ist doch eine sehr nette Frau«, sagte der Mann. »Und so hübsch anzusehen!«
Die Frau sprach leise, aber nicht leise genug. »Sie ist eine von ihnen, hast du das nicht gemerkt? Das habe ich sofort gesehen. Wir müssen Stahl hinter ihr herwerfen, wenn sie wieder fort ist.«
»Neeeeh«, sagte der Mann glotzend. »Das meinst du doch nicht wirklich! Eine von ihnen. Oh, Herr Jesus!« Mit erschrockenem Blick trat er wieder vors Haus.
Sol entschloß sich, offen zu sein. »Ja, ich bin eine von ihnen«, lächelte sie freundlich. »Aber ihr habt nichts zu befürchten. Ganz im Gegenteil. Ich habe ein Gegenmittel gegen Euer wundes Bein, liebe Mutter, und auch etwas gegen Eure Erkältung, Vater - wenn Ihr es denn annehmen wollt?«
Nachdem sie sich lange und gründlich gemustert hatten, nahmen sie die Arznei. Sie waren begeistert.
Dann bekam Sol endlich die Auskünfte, die sie wünschte. Sie mußte sich ins Landesinnere begeben. Weit in den Wald hinein bis zu einem Bach. Sie erhielt erneut eine Beschreibung, die diesmal von vielen Dankesworten begleitet wurde, als sie sich auf nach Brösarps Backar machte.
Doch sie kam nicht umhin, im Bach das Platschen einer Axt zu hören, die direkt hinter ihr ins Wasser gefallen war. Da lächelte sie finster.
Auf diese Weise bekomme ich gewiß ganz Skäne zu sehen, dachte sie bei sich. Aber das macht nichts. Das Wichtigste ist, daß ich finde, wonach ich suche.
Es war nicht schwer, der Beschreibung zu folgen, der Weg jedoch war lang. Vorbei an dem großen und bedrohlichen Schloß Vittskövle, über weite Ebenen und durch dunkle Wälder, zu einem kleinen Dorf im Landesinneren. Tollarp hieß es. An dem Dorf vorbei und dann weiter nach Westen in die tiefen Wälder I hinein.
Vor sechzig Jahren… Sie mußte verrückt sein, wie konnte sie nur glauben, daß noch jemand übrig war. Nein, eigentlich glaubte sie das auch nicht. Aber sie setzte Ihren Weg dennoch aus einer Art verbissenem Trotz fort - als wolle sie den Becher bis zum letzten Tropfen leeren. Ansgars Klyfta hieß die Kluft, auf die sich die Hexen als zukünftigen Treffpunkt geeinigt hatten. Bei jedem Vollmond! im Sommer. Da konnten im Jahr nicht viele Versammlungen! zusammenkommen.
Zum Glück hatte Sol noch genug Zeit. Lange suchte sie nach der richtigen Stelle, denn sie traute sich nicht, die Leute in den kleinen Bauerndörfern danach zu fragen, an denen sie vorbeikam.
Und während sie in der Gegend umher ritt, suchte sie zugleich auch nach etwas anderem. Nach Nachtschatten, auch Bittersüß genannt - dieses Kraut fehlte ihr für den Ritt zum Blocksberg Bei jeder Rast hatte sie den Strand abgesucht. Nun suchte sie im Wald, unter den Bäumen - ohne genau zu wissen, worauf sie eigentlich achten sollte. Hanna hatte ihr die Pflanze nie richtig beschrieben, und das Bild von Hanna begann allmählich zu verblassen, wenn die Verbindung zu ihr auch noch immer vorhanden war. Die Verbindung zwischen zwei Menschen, die einander voll und ganz verstanden.
»Hanna«, flüsterte sie. »Warum läßt du mich wieder allein Warum mußte dieser Heming Vogtmörder dein Leben auslöschen, unsere Zusammenarbeit zerstören? Ich bin so allein auf der Welt, Hanna. So unendlich allein.«
6. KAPITEL
Während Sol in den frühlingsgrünen Buchenwäldern umherirrte, stand Liv am Fenster des prächtigen Kaufmannshauses und betrachtete den Matsch in Oslos Straßen. Trostlos prasselte der Regen nieder. Das Gefühl von Schwere im Bauch wollte sich nicht legen, und ebenso wenig der Mißmut in ihrem Herzen.
Nervös und ruhelos trommelte sie an den Fensterrahmen. Wenn sie doch nur irgendeine Beschäftigung hätte! Doch was auch immer sie sich
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