Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund
darüber. Aber das konnte sie sich nicht vorstellen, sie hatten schließlich so viele Freunde.
Ihre Schwiegermutter hielt Mittagsschlaf. Das war die schönste Zeit des ganzen Tages, Livs kleine halbe Stunde. Doch mittlerweile hatte sich alles derart in ihr zusammengekrampft, daß sie sich nicht mehr entspannen konnte.
Der Regen schlug gegen das Fenster. Ein Diener betrat das Zimmer. Liv ging vom Fenster fort und tat so, als habe sie etwas herumzupusseln.
Weit, weit fort von Livs Haus in Oslo, unten in Skäne hielt Sol das Pferd an.
Tollarp? Sollte sie nicht bald dort sein?
Sie hatte das ungute Gefühl, vom Wege abgekommen zu sein.
Verdammt noch mal! Dazu hatte sie keine Zeit.
Sie ritt eine Weile aufs Geratewohl, ohne Anzeichen einer menschlichen Ansiedlung entdecken zu können. Niemanden zum Fragen. Und die Zeit ging dahin.
Die Landschaft war so hügelig, daß sie wußte, daß sie in der Gegend vom Linderödsbergkamm sein mußte. Wonach sie suchte war Tollarp - oder ein Fluß, der durch dieses Dorf fließen sollte.
Aber auch einen Fluß konnte sie nicht entdecken. War denn dieser Teil von Skäne ganz unbewohnt?
Und wenn sie nicht aufpaßte, dann konnte sie ins Revier Schnapphähne geraten - und von dort war es nicht mehr weit bis nach Schweden. Aber was, wenn sie schon in Schweden war? Nein, das konnte nicht sein.
Im selben Moment hörte sie in der Nähe Stimmen. Sie trieb das Pferd voran, und kurz darauf öffnete sich der Wald zu einer mit Eichen bewachsenen Ebene.
Dort drüben, bei einem Zaun, stand eine Gruppe Landknechte. Ihr rohes Gelächter hallte unter dem Frühlingshimmel wider.
Sol hatte vor ihnen keine Angst, und sie hatten auch keine Pferde bei sich, auf denen sie sie hätten verfolgen können. Dennoch blieb sie im Schutz der letzten Bäume stehen betrachtete sie stirnrunzelnd.
Was in aller Welt hatten sie dort verloren? Heftige Röte der Abscheu überzog ihr Gesicht. Sie zog das Pferd einige Schritte zurück unter die Bäume.
An den Zaun hatten sie eine Frau vornüber gebeugt festgebunden. Den Rock hatten sie ihr über den Kopf gestülpt, und nun vergingen sie sich der Reihe nach von hinten an ihr.
Sol stieß zwischen den Zähnen einen Fluch aus. Es waren viele Männer. Zwölf bis fünfzehn Stück. Von der Frau konnte sie nicht mehr erkennen als das geschundene, nackte Hinterteil und Anzeichen dafür, daß sie bis zu dieser Schandtat noch Jungfrau gewesen war. Ein verzagtes, schniefendes und schluchzendes Weinen erreichte Sol. Das Weinen minderte die Munterkeit ihrer Schänder nicht im geringsten.
Nun war ein neuer Schurke zum Angriff bereit. Rasch holte Sol ihre langen Goldketten hervor und hängte sie sich um den Hals. Holte ihren hochherrschaftlichen Hut hervor, band ihr Haar zusammen und steckte es unter den Hut. Dann machte sie sich hübsch, so gut sie konnte und setzte sich mit den Beinen zu einer Seite im Damensitz auf den Sattel.
Innerhalb eines Augenblick hatte sich das lebensfrohe junge Mädchen in eine würdige Edelfrau verwandelt. Sie ritt los.
»Halt!« rief sie gebieterisch dem Mann zu, der mit seinem Werkzeug im höchsten Anschlag in Begriff war, auf die arme Frau am Zaun loszugehen.
Erstaunt drehten sich alle um.
»Binde die Frau los, du erbärmlicher Nichtsnutz«, sagte Sol bissig, ohne zu ahnen, wie schön und imponierend sie sich ausnahm.
Den Soldaten stand der Mund offen.
Schließlich überwand einer den Schock.
»Hah, bist du vielleicht Kommandant? Wo du noch nicht einmal unsere Sprache sprichst! Komm runter vom Pferd, dann kriegst du dieselbe Medizin zu schmecken.« »Das fällt mir gar nicht ein«, sagte sie eiskalt und verächtlich. »Ihr seid viel zu häßlich und unbedeutend.«
Sol hütete sich davor, vom Pferd abzusteigen. Dort oben war sie sicher.
»Wenn ihr sie nicht augenblicklich losbindet, dann wird es euch schlecht ergehen«, sagte sie langsam mit halbgeschlossenen Augen.
Einige zögerten, da sie vornehmer Herkunft zu sein schien und sie verraten konnte. Der Mann jedoch, der zur Vergewaltigung bereit war, grinste nur. »Hast du vielleicht vor, mich aufzuhalten?« »Ja.«
Die einfache Antwort brachte ihn für einen Augenblick aus dem Konzept, doch dann drehte er sich um und ging auf die Frau zu. Er blieb mit dem Rücken zu Sol stehen. »Wie denn?«
»Du kannst nicht«, säuselte Sol. »Du schaffst es nicht, deine Manneskraft hat dich verlassen.«
Sie lachten wieder roh, und der Mann, der mit dem Rücken zu ihr stand, lachten am allerlautesten.
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