Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund
über ihr Verhalten sehr enttäuscht.
Doch nun saß ihr wieder die Rastlosigkeit in den Knochen, die sie zu den Blocksbergritten trieb. Und sie wollte nicht, würde sich nicht wieder auf so etwas einlassen. Dadurch geriet sie nur in Disharmonie mit sich selbst, distanzierte sich vom realen Leben - und sie hatte auch noch kein Gegenmittel gegen die schrecklichen Kopfschmerzen danach gefunden.
Mehrere Tage hintereinander hatte es geregnet, doch jetzt war die Erde wieder trocken. Sollte sie Jacob mit in den Wald hinausnehmen und ihn »verführen«? Darüber würde er sich bestimmt freuen, und er würde nie merken, daß das von Anfang an ihre Absicht gewesen war. Sie würden »unwiderstehlich einander in die Arme getrieben« werden. Vor dem Einschlafen legte sie sich noch einen kleinen Schlachtplan zurecht.
Am folgenden Tag kam sie in einem leichten und verführerischen Kleid nach Grästensholm.
Wie schön die Halle geworden war! Ganz offensichtlich hatte Jacob fleißig gearbeitet. Felldecken waren an die Wände genagelt und in der einen Ecke ein neuer Kamin gemauert worden. Im Salon hörte sie Stimmen und ging hinüber. Charlotte lachte. Ein heiteres und glückliches Lachen. Sol klopfte an und trat ein. Jacob Skille und Charlotte fuhren auseinander.
»Oh, Sol du bist's«, sagte Charlotte mit hektisch roten Wangen. »Komm herein!«
Jacobs Gesichtsausdruck war zunächst leer. Doch dann entdeckte Sol in seinem Blick eine Bitte und eine desperate Ermahnung. »Sag nichts von uns«, bat sein Blick. Sol sandte ihm einen beruhigenden Blick zurück. Sie hatte kein Interesse daran, ihn auszuliefern. Ganz im Gegenteil! Sie erinnerte sich nicht, worüber sie redeten, auch nicht, was sie selber gesagt hatte. Es waren wahrscheinlich hauptsächlich Trivialitäten. Charlotte hatte ihr die ganze neue Möblierung und Ausbesserungsarbeiten gezeigt und dabei die ganze Zeit davon gesprochen, wie schön es sei, einen Mann im Haus zu haben. Anscheinend hatte Sol nach Dag gefragt, doch, das hatte sie getan, als wüßte sie nicht genau, daß er in Oslo war. Kurz darauf war sie gegangen, verwirrt, jedoch nicht ohne ein selbstironisches Lächeln auf den Lippen.
Ach so, sagte sie - Sol die Unwiderstehliche - war von einer Frau mittleren Alters, die nicht gerade zu den Schönsten zählte, ausgebootet worden! Ob wohl Dag davon wußte? Oh, wie sehr sie Charlotte eine kleine Romanze gönnte! Wie arm war doch ihr Leben an solchen Ereignissen gewesen! Und die beiden paßten vom Alter her besser zusammen als Jacob und Sol. Sol würde sich ganz sicher immer zu Männern mit einem gewissen Maß an Autorität und Erfahrung hingezogen fühlen, Jacob gab sie gern frei. Sie hoffte, daß er es ernst meinte! Charlotte durfte nicht noch einmal verletzt werden!
Aber was würde Dag dazu sagen wenn Jacob Skille ehrliche Absichten hatte? Oder war er nur auf ihr Geld und Gut aus? Nein, das konnte Sol sich nicht vorstellen, absolut nicht. Deshalb hatte er sich also nicht auf Lindenallee blicken lassen. Sol lachte laut.
Sie machte sich keine Illusionen. Jacobs Liebe zu ihr war nur eine Besessenheit gewesen, genauso wie sie nur neugierig und lüstern auf ein Abenteuer gewesen war. Seine Gefühle für Charlotte waren etwas anderes, das hatte selbst sie im Lauf ihres kurzen Besuches oben auf Grästensholm bemerkt.
Mit einem Mal wurde sie von bodenloser Wehmut ergriffen. Sie trauerte nicht um Jacob, das nicht. Aber was blieb ihr noch? War es ihr nicht möglich, jemanden zu lieben und wieder geliebt zu werden, so wie sich Silje und Tengel liebten, so wie die Liebe zwischen Liv und Dag immer mehr heranwuchs - so daß mittlerweile alle davon wußten? War sie außerstande, jemanden zu lieben, abgesehen von der einen Schattengestalt? Und konnte ein Mann sie wirklich mögen, uneigennützig, nicht nur durch ihr Äußeres, ihren Körper angezogen?
Sol hörte sich plötzlich selbst schluchzen. Ungeduldig kramte sie in der Tasche an ihrem Gürtel und fand die Dose mit der Salbe. Blind vor ungewohnten Tränen bog sie vom Weg ab und lief in den Wald zu einem sehr geheimen Versteck, das niemand außer ihr kannte. Dort zog sie sich rasch aus, schmierte sich mit der Salbe ein, und mit einem Stock fest an den Unterleih gepreßt, steuerte sie eine halbe Stunde später in den Abgrund hinunter, der sie beständig zu den gewaltigsten Erwartungen anfeuerte. Oh, das letzte Mal war schon so lange her! Sie sehnte sich danach, sie sehnte sich danach!
So begegnete sie ihm wieder, dem
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