Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund
der einzige, den sie lieben konnte. Nie zuvor war sie so aufgeregt gewesen. Kaum daß sie Zeit für das Essen hatte, so fieberte es in ihrem Körper. Als sie schließlich hinauskam, waren die Männer natürlich schon verschwunden. Sol jedoch wußte, daß sie ihn wiedersehen würde. Um sie zu treffen, war er vom Blocksberg hierher kommen.
12. KAPITEL
Rastlos jagte Sol durch die Straßen Oslos, auf der Suche nach ihrem Herrn und Meister aus dem Abgrund. Sie hatte nicht die Ruhe, um für längere Zeit in Livs neuem Haus zu verweilen, so spannend es auch sein mochte, es zu möblieren und schön herzurichten. Doch sie begegnete ihm nie.
Aber sie war noch keine drei Tage in Oslo, bevor sie in Schwierigkeiten geriet.
Sie stand an einem Marktstand, im Begriff, eine sehr schön gegerbte mit Ornamenten versehene Felldecke zu kaufen, die vorzüglich zum Bett im kleinsten Schlafzimmer gepaßt hätte. Die meisten Möbel und anderen Einrichtungsgegenstände stammten von Lindenallee, dennoch fehlte es im Haus an vielem. Der Gerber hatte soeben die Decke ausgebreitet, und Sol gab ihm mit einem Kopfnicken zu verstehen, daß sie zum Kauf entschlossen war.
In dem Augenblick drängelte sich ein Frau des höheren Bürgerstandes vor und schnappte sich die Decke. »Das ist meine. Die nehme ich.«
Sol protestierte energisch. »Nein, was fällt Euch ein …« Der Verkäufer wagte nicht, Partei zu ergreifen. Er tat, was die am lautesten Schreiende von ihm verlangte.
Sol war vor Wut außer sich - so sehr, daß sie vergaß, nachzudenken. Sie entdeckte, daß der Rock der Frau mit einem Band um ihre Taille gehalten wurde.
»Möge dir dein Rock runterrutschen, du alte Kuh, so daß alle sehen, daß du nichts weiter hast als alte Speckringe«, zischte sie durch die Zähne.
Sie hatte es sich so innig herbeigewünscht, daß sich vor aller Augen der Knoten des Bandes löste, und der Rock zu Boden fiel, schwer wie er war. Die Szene löste unter allen Anwesenden natürlich große Heiterkeit aus.
Die Frau heulte, während sie bemüht war, ihren Anstand wieder herzustellen: »Faßt sie! Faßt die Hexe mit dem bösem Blick!«
Sol scherte sich nicht darum. Sie war so verbittert, daß sie lachte und sich dann gefangennehmen ließ.
Gefolgt von einer großen Volksmenge führten zwei starke Kerle sie zum Bürgermeisteramt, das gleich in der Nähe lag. Es schien, als gehe Sol das Ganze gar nichts an. Menschen die waren so kleinkariert und erbärmlich, sie aber hatte einen mächtigeren Beschützer - der sogar menschliche Gestalt annahm, um sie aufzusuchen.
Während die Zuschauer draußen warten mußten, wurde sie in einen großen Saal geführt, in dem einige Ratsherren beim Gespräch saßen.
Die beiden Männer, die Sol festhielten, verbeugten sich tief. »Diese Frau hat auf der offenen Straße Zauberei betrieben«, sagte der eine. »Daran gibt es keinen Zweifel.«
Sol sah sofort, daß der Bürgermeister selbst nicht anwesend war, doch die Herren mußten seine engsten Vertrauten sein. Einer von ihnen seufzte laut. »Oh, wie habe ich doch den ganzen Trubel um die Hexerei satt! Das gehört ins Ressort des Pastors, nicht in unseres!«
»Mmmm, wartet einen Augenblick«, sagte der andere mit dänischem Akzent. »Die Frau haben wir doch schon einmal gesehen. Bei allen Göttern, ich glaube, wir haben da einen guten Fang gemacht!«
Sol schaute ihn prüfend an, erkannte ihn jedoch nicht. »Das ist die Frau mit den gelben Katzenaugen«, sagte er. »Die so spurlos aus Kopenhagen verschwunden ist, nachdem sie dort einen Skandal hervorgerufen hat. Ja, Ihr müßt sie festhalten, meine Herren! Sie kann mehr als ihr Vaterunser! In Kopenhagen gingen Gerüchte um, daß sie Leute dazu bringen könnte, wie Schlangen auf dem Boden zu kriechen.« Ein anderer Ratsherr erschauerte. »Nein, damit will ich nichts zu tun haben. Das Gespann des Lehnsherren steht abfahrbereit draußen. Laßt sie uns zu ihm bringen, das ist mehr sein Gebiet als unseres!«
Und so kam es. Sol wurde zur Hintertür hinausgeführt, und ein Mann wurde zum Aufpassen abkommandiert. Sie ging über den Hofplatz zum Wagen. Endlich kam ihr zu Bewußtsein, was mit ihr geschehen sollte, und sie hatte Angst. Nicht um ihretwillen, nein, um ihrer Familie willen. Sie beschloß, ihren Namen zu verschweigen…
Der Kutscher, der den Wagen abfahrbereit machte, drehte sich um, um zu sehen, wen er mit mitnehmen sollte. Er war ein kräftiger, blonder Mann, stattlich anzusehen, doch mit einem sonderbar leeren Ausdruck
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