Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund
hier, mein Freund?« fragte Sol und versuchte, freundlich auszusehen.
»Ich habe um meine Versetzung nach Akershus gebeten - und wurde versetzt«, antwortete er stolz. »Jetzt können wir wieder Zusammensein, Sol. Ich habe mich so schrecklich nach dir gesehnt. Und jetzt bin ich endlich auf dem Weg zu deinem Vater, um aus dir eine anständige Frau zu machen.«
Sol entdeckte in dem Moment, daß er seine elegantesten Kleider trug, mit blankgeputztem Harnisch und federgeschmücktem Helm. Ganz offensichtlich meinte er es ernst »Du wagst doch nicht etwa, zu behaupten, du habest aus mir bereits eine unanständige Frau gemacht!« fauchte sie. Die Intensität ihrer Stimme erschreckte ihn ein wenig. »Ich bin davon ausgegangen, du hast es erzählt. Hast du denn nichts von uns gesagt?«
»Doch, aber ich bin nicht ins Detail gegangen. Meine Eltern sind gute Menschen, und sie wären sehr betrübt, wenn sie das erfahren hätten. Jacob, ich bitte dich, noch zu warten. Das paßt jetzt gar nicht recht, die sind ganz in Aufregung über die Tragödie mit meiner Schwester. Das werde ich dir später erzählen. Und diesen Winter braucht mein Vater mich bei der Arbeit…« Jetzt ist sogar die Arbeit mit den Kranken ein Vorteil, dachte sie bei sich. »Aber sie werden dich wohlwollend aufnehmen, denn ich habe ihnen erzählt, wie freundlich du in Skäne zu mir warst, und eine Zeitlang können wir wohl unsere Liebe noch geheimhalten, nicht wahr? Ich werde dir sofort Bescheid geben, wenn die Zeit reif ist.«
Igitt, was für ein widerliches Gefühl, das Wort Liebe zu benutzen!
»Aber ich habe davon geträumt, mit dir zusammenzusein«, sagte Jacob.
»Wir wollen uns morgen da drüben im Wäldchen am Fluß treffen, nach dem Abendessen.«
Jacob Skille war sichtlich verwirrt, nickte jedoch zustimmend.
Sol winkte Dag diskret zu. Er holte sie wieder ein. »Wie lange kannst du bleiben?« fragte sie Jacob.
»Den neuen Dienst werde ich erst in drei Wochen antreten müssen«, antwortete er.
Mein Gott, drei Wochen! Wie sollte sie es nur fertig bringen, ihn sich so lange vom Leib zu halten?
Ihre Eltern hatten von Jacob Skille nicht sonderlich viel gehört, sie nahmen ihn dennoch freundlich auf und dankten ihm, das er Sol in Skäne eskortiert hatte. Zum Glück begriff Dag, das Sol der Boden unter den Füßen brannte, und er nahm deshalb Jacob Skille rasch mit sich hinauf nach Grästensholm. Sol atmete erleichtert auf.
Als Sol später am Tag zufällig aus dem Fenster schaute, sah sie Meta mit dem Milcheimer in der Hand aus dem Stall kommen. Auf dem Hof begegnete sie Are, der stehen blieb und sich mit ihr unterhielt. Sol konnte nicht hören, was er sagte, sah nur Metas verschrecktes Gesicht, als sie den Kopf hob und ihn anblickte. Sol beobachtete, daß Are sie anlächelte und ihr kurz über die Wange strich. Dann nahm er den Milcheimer und ging mit ihr ins Haus.
Sol verließ das Fenster und grinste zufrieden. Der Hausfrieden war wieder hergestellt. Sie hatte keine Angst, daß Are das aus Mitleid getan hatte. Er hatte seine Lektion wohl gelernt. Dieser Junge besaß eine Menge warme Menschlichkeit, auch wenn die aufgrund von Pubertätsproblemen ab und zu in den Hintergrund trat.
Sol hatte Metas Geschichte auch ihren Eltern erzählt, und Dag hatte Charlotte alles berichtet. Von dem Tag an wurde alles getan, damit das kleine Mädchen aus Skäne sich wohl fühlte. Arbeit bekam sie weiterhin, weil sie der Ansicht waren, daß es das Beste für sie sei, jetzt wurde sie jedoch mehr und mehr wie eine Tochter im Hause.
Am nächsten Tag traf Sol sich mit Jacob am Fluß. Dies war ihr heimlicher Platz, wo sie in den alten Zeiten immer mit ihrer Katze umhergestreift war.
Jacob Skille sank neben ihr in das weiche Gras. »Nun, wie steht's?« fragte sie.
»Auf Grästensholm? Danke ausgezeichnet! Dags Mutter ist ein ungewöhnlich feiner Mensch. Sich mit ihr zu unterhalten, ist sehr angenehm.«
»Ja, natürlich! Tante Charlotte ist einzigartig. Wir beten sie alle an.«
»Das verstehe ich. Ich habe ihr ein wenig in dem großen Haus geholfen. Ich habe ganz geschickte Hände, und Dag macht nicht gerade den Eindruck, als sei er dazu geeignet.« »Nein, im Augenblick ist er von den Schwierigkeiten unserer Schwester vollkommen in Anspruch genommen. Er regelt die Erbschaft von ihrem Mann, du verstehst… «
Sol plauderte hektisch drauflos, um Jacobs Annäherungsversuche zu verhindern.
Doch er sah so betrübt aus.
»Sol. Warum weichst du mir aus?«
»Ausweichen?«
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