Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund
in den Augen. Sol, die hörte, wie er nach Luft schnappte, mußte nochmals einen Blick auf ihn werfen.
Sie hätte fast laut aufgeschrien, beherrschte sich aber gerade noch rechtzeitig.
Klaus! Ihre erste Eroberung.
Sieben Jahre waren vergangen, doch sie konnte in seinen Augen lesen, daß er sie nie vergessen hatte. Natürlich, er hatte im Stall des Lehnsherren Arbeit bekommen. Das stimmte!
Sie sandte ihm einen warnenden Blick zu und stieg auf den einfachen Wagen. Der Landsknecht, der auf sie aufpassen sollte, folgte. Er hatte einen Brief bei sich, in dem wahrscheinlich alles über Sol stand.
Sie mußte die Fahrt beenden, noch ehe sie das Haus des Lehnsherren erreicht hatte. Und Klaus sollte ihr dabei helfen.
Der Landsknecht war kein sonderlich großes Problem. Es galt lediglich, den richtigen Zeitpunkt zu finden… Klaus war auf den Wagen geklettert, und sie rollten vom Hof hinunter und hinein in eine abgelegene Gasse, wo der Pöbel nicht auf sie wartete.
Auf der Fahrt nach Westen waren sie bald vor Oslos Stadttoren angelangt.
Der Landsknecht beugte sich zum Kutscher vor. »Einen schönen Fang haben wir da gemacht«, sagte er eifrig. »Sie soll die schlimmste Hexe in ganz Skandinavien sein!« »Sie?« Klaus sandte Sol über die Schulter einen erschrockenen Blick zu.
»Ja. Diesmal geht es auf direktem Wege auf die Folterbank und das Rad. Und dann auf den Scheiterhaufen. Bin sicher, daß der Bischof höchstpersönlich dem Schauspiel beiwohnen wird.«
»Aber die können sie doch nicht verbrennen!« Sol hörte, daß Klaus zutiefst verzweifelt war.
»Sie ist gefährlich schön anzusehen, dem stimme ich vollkommen zu. Aber das sind die Schlimmsten.« Klaus jammerte vor sich hin und sank gleichsam in sich zusammen.
Sie gelangten in einen Wald. Der Landsknecht ging mit einem siegessicheren Grinsen an Sol vorüber und baute sich breitbeinig ganz hinten auf dem Karren auf.
Das wäre eine gute Gelegenheit, dachte Sol, die die ganze Zeit einen kalten Kopf bewahrt hatte.
Ganz unerwartet stieß sie einen gellenden Schrei aus. Es hörte sich an wie der Schrei eines Raubvogels im Sturzflug. Zugleich nahm sie vom Boden des Karren einen Striegel und warf ihn auf die Flanke des Pferdes. Er traf das Pferd genau mit den scharfen Dornen.
Das Pferd wieherte aufgeschreckt und machte einen kräftigen Satz nach vorn. Der Landsknecht verlor das Gleichgewicht und fiel hinten über vom Karren, während das Pferd in wildem Galopp durch den Wald stürzte. Klaus und Sol bemühten sich gemeinsam, das Tier wieder unter Kontrolle zu bekommen. Es machte die Sache nicht leichter, daß Klaus von seinem Kutschbock gefallen war. »Ihr seid verrückt«, japste er, nachdem alles wieder im Lot war. »Was glaubt Ihr wohl, was der Lehnsherr dazu sagen wird?«
»Was glaubst du, würde er wohl sagen, wenn ich mich dorthin bringen ließe?« antworte Sol verbissen, wobei sie die Zügel übernahm. »Er wird mich verbrennen, wenn er mich zu Ende gefoltert hat.«
»Nein! Nein, das darf er nicht! Ich habe gesehen, wie sie eine Hexe zugerichtet haben. Das war schrecklich!« Das Pferd hatte sich wieder beruhigt.
»So, laß mich hier runter, dann kannst du zu deinem Stall zurückfahren«, sagte Sol und nahm den Brief an sich, der auf dem Boden des Karren gelandet war.
»Nein, dahin kann ich nicht zurück, nicht ohne die Gefangene, das versteht Ihr doch! Ich komme mit Euch.« »Dann beeile dich, bevor jemand kommt!« »Das Pferd und der Karren?«
»Den Karren können wir nicht nehmen, und wir haben keine Zeit, das Pferd auszuspannen. Ich weiß nicht, was mit der Landsknecht los ist, vielleicht läuft er uns hinterher.« »Nein, das tut er nicht«, sagte Klaus finster, während absprang. »Der läuft überhaupt nicht mehr.«
»Dann komm jetzt«, sagte Sol ungeduldig. Das Schicksal Landsknechtes bereitete ihr weniger Kopfzerbrechen als ihm.
Klaus gab dem Pferd einen Klaps auf die Hinterbacke. »Nach Hause mit dir! Nach Hause zum Hof«, sagte er freundlich.
Den Karren hinter sich schlingernd, verschwand das Pferd im Wald. Es war noch lange zu hören.
Sie selbst bogen vom Weg ab und liefen durch tiefes Moos und über kahle Bergfelsen. Am Anfang rannten sie so schnell sie konnten, doch dann verlangsamten sie ihr Tempo.
»Wo sind wir?« fragte Sol atemlos und blieb stehen. Sie standen auf einem Bergrücken. Überall sahen sie Wald, nur Wald. Weit im Süden blinkte ein großes Gewässer. Der Oslofjord.
»Weiß nicht«, antwortete Klaus. Aus seiner Lunge
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