Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
mit dem Ball und dem Steckenpferd in der Allee gespielt habt. Immer war Cecilie die Letzte, und ständig hat sie sich darüber geärgert. Ich habe genau gesehen, daß du sie oftmals hast gewinnen lassen.« »Ach, so oft war das nicht, das war gar nicht nötig«, lächelte Yrja und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wenn Silje sie zwischendurch ziepte. »Fräulein Cecilie ist immer sehr gut allein zurecht gekommen. Wie damals, als sie um die Wette gelaufen sind, von Grästensholm hierher. Ich war nicht dabei, denn ich kann nicht gut rennen. Cecilie mußte natürlich verlieren, weil sie die Kleinste war. Aber sie konnte einfach nicht verlieren, deshalb hat sie hinter dem Hügel dort drüben so getan, als ob sie gefallen wäre und sich wehgetan hätte und nicht weiterlaufen konnte. Sie riß sich mit Absicht das Kleid auf und hinkte auf den Hofplatz. Niemals habe ich jemanden gesehen der sich so schlimm verletzt hatte! Und so wurde sie zur Heldin. Um den Gewinner des Wettlaufs hat sich dann keiner mehr gekümmert. Ich habe alles gesehen, weil ich nicht mitgemacht habe.«
Silje lachte. »Das sieht ihr ähnlich! O ja, Cecilie kommt zurecht. Da steht es mit Sunniva schlechter. Ich habe versucht dem Mädchen ein bißchen Lebensmut zu geben, aber sie ist so ängstlich. Wie gut ist es zu wissen, daß sie euch hat. Tarald ist ja auch besonders nett zu ihr.«
Yrja war sehr still. Ihr Gesicht verdüsterte sich, und Silje begann zu ahnen, daß sich dahinter eine kleine Tragödie verbarg.
Die liebe, gutherzige Yrja! Aber so völlig unvorteilhaft, was das Äußerliche betraf, auf das Tarald so überaus großen Wert legte. Silje sah hinab auf die Hände des Mädchens, die wie große Schaufeln in ihrem Schoß ruhten, und sie betrachtete das allzu kräftige Gesicht. Aber Yrjas Augen leuchteten voller Wärme - wenn man sich nur genug Zeit nahm, in sie hineinzusehen.
Silje begann, über etwas anderes zu sprechen. »Nimm den Spiegel dort drüben auf dem Tisch, und sieh genau zu, wie ich es mache!« Yrja gehorchte.
»Schau mal. Ich teile das Haar oben auf dem Kopf, kämme es von der Stirn hoch und fasse es weich und fließend beiderseits über den Ohren zusammen.«
»Aber wirkt dann nicht mein unmögliches Gesicht noch breiter?«
»Ganz im Gegenteil, es erscheint schmaler, wenn ein üppiger Haarschopf es einrahmt. Dann flechte ich das Haar in zwei dicke Zöpfe …«
Das dauerte eine Weile, und so fragte Silje Yrja, wie es zu Hause stand.
Es schien eine traurige Geschichte zu sein. Keine Freude, nur Arbeit und harte Worte. Während die Säuglingssterblichkeit im Kirchspiel enorm war, schien die Eikeby-Familie sehr robust zu sein, und so ergab sich bald eine qualvolle Enge. Yrja hatte nicht einen einzigen Winkel für sich selbst. Ganz offenbar waren die Tage auf Lindenallee für Yrja eine willkommene Gelegenheit, sich ein wenig Raum zum Atmen zu verschaffen.
Als Yrja damals begonnen hatte, im Haus zu helfen, hatte Silje sich dafür geschämt, daß sie dem Mädchen - der Spielkameradin der Kinder - hin und wieder einen Leckerbissen oder ein Geldstück zusteckte. Aber jetzt begriff sie, daß sie richtig gehandelt hatte. Obwohl Yrja es nicht sagte, wurde doch deutlich, daß die Eltern die kleinen Gaben als sichere Einkommensquelle betrachteten und daß sie nie erlaubt hätten, daß die Tochter sich auf Lindenallee aufhielt, wenn sie nicht etwas dafür heimgebracht hätte. Alles andere wäre vergeudete Zeit gewesen. Ganz offenbar betrachteten sie das Arrangement als feste Anstellung, Yrja war ein Dienstmädchen für Frau Silje. Die Freundschaft Yrjas mit der ganzen Familie ging an ihrem Verstandeshorizont vorbei. Wenn sie etwas davon gewußt hätten, dann hätten sie das Mädchen gewiß wieder heimgeholt.
Silje dachte schuldbewußt daran, daß sie Yrja wohl regelmäßiger bezahlen sollte. Sie hatte nicht gewußt, daß die wenigen Münzen so viel bedeuteten.
Aber es gab so viele Münder zu futtern auf Eikeby. Da verwunderte es nicht, daß das Mädchen als Kind oft krank gewesen war.
Es war so schade! Es war so schade um das prächtige Mädchen, das eine phantastische Mutter und Hausfrau abgeben würde. Aber der Vater, der all seine Töchter nach und nach verheiratete - er selbst suchte seine Schwiegersöhne aus - , hatte bestimmt, daß Yrja diejenige Tochter sein sollte, die ihren Eltern auf die alten Tage zur Hand gehen sollte. Das konnte er guten Gewissens entscheiden - kaum ein Freier würde freiwillig um Yrjas Hand
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