Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
entschied die Sache. »Ich bin auch der Meinung, daß wir Sunniva nicht schicken sollten. Sie könnte die Aufgabe niemals zufriedenstellend bewältigen. Es geht ja nicht allein darum, die Kinder des Königs zu hüten; ich kann mir vorstellen, daß dazu eine geschickte, feste Hand notwendig ist. Man muß die richtige Ausgewogenheit finden zwischen untertänigem Respekt vor den kleinen Geschöpfen und dem Mut, sie zurechtzuweisen, wenn sie zu weit gehen. Letzteres würde Sunniva niemals gelingen. Sie würde in Tränen ausbrechen, falls eines der Kinder ihr sagte, daß sie gefälligst ihre Finger von seinem königlichen Leib lassen sollte.« Cecilie nickte nachdrücklich. Sie stimmte dem vollständig zu. »Die Frau Baronin hat vollkommen recht«, sagte der Graf, und Liv zuckte zusammen. Auch nach zwanzig Jahren hatte sie sich nicht daran gewöhnt, Baronin genannt zu werden. Graf Strahlenhelm fuhr fort: »Mir scheint, daß Fräulein Cecilie ganz hervorragend geeignet wäre. Meine Eltern werden meine Wahl sicher gutheißen, da wir nun Fräulein Sol nicht bekommen können. Der Hof hat Vater um Rat gebeten, natürlich ist es meinem Vater eine Ehrensache, den König mit einem tüchtigen Kindermädchen erfreuen zu können.«
»Aber warum eines aus Norwegen?« fragte Liv. »Es wird doch genug dänische Mädchen geben!«
Der Graf hüstelte diskret. »Die gibt es, und viele möchten die Kinder betreuen. Aber bei Hofe haben die Kindermädchen oft gewechselt. Ich muß gestehen, daß es offenbar nicht einfach ist, mit Kirsten Munk zu tun zu haben. Und sie hat ihren kleinen Töchtern eingetrichtert, auf ihren hohen Stand zu achten. Mutter und Töchter sind sich ihrer Position dermaßen bewußt, daß auch halb soviel Einbildung schon mehr als genug wäre. Deshalb dachte mein Vater sofort an Fräulein Sol. Er hat immer gesagt, daß sie ein Mädchen mit Rückgrat ist. Außerdem will man eine Person mit Ausbildung haben, und Sol war sehr gut ausgebildet.«
»Das ist Cecilie auch«, sagte Charlotte stolz. »Ich habe alle Kinder unterrichtet.«
»Gut! Ein weiterer Grund ist, daß König Christian auch sein zweites Reich einbeziehen will, und das ist Norwegen, wie Ihr wißt. Wenn also Fräulein Cecilie sich vorstellen könnte, den ehrenvollen Auftrag anzunehmen, dann denke ich, daß sie die Richtige ist.«
»Ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen«, sagte Cecilie. »Überleg es dir gut«, sagte Dag. Er hatte gesehen, was Sol in Kopenhagen widerfahren war, und es widerstrebte ihm sehr, seine eigene Tochter dorthin zu schicken.
»Dag«, bettelten Liv und Charlotte wie aus einem Munde, »laß sie fahren!«
.Aber sie kann auf keinen Fall allein reisen«, sagte Dag, nun schon etwas nachgiebiger, doch immer noch streitlustig. »Nein, natürlich nicht«, sagte Graf Strahlenhelm. »Sie fährt mit uns zurück. Meine Gattin hat mich begleitet, sie wartet in Oslo, denn die Seereise ist ihr nicht gut bekommen. Wir fahren in drei Wochen nach Dänemark zurück, falls es recht ist?«
Darauf einigte man sich. Nur Dag seufzte leise. Er hing doch so sehr an seiner jungen, lebhaften Tochter. Aber Cecilie konnte einen hellen und sehr weiblichen Jubelschrei nicht unterdrücken.
Die Spätsommertage vergingen nur allzu schnell. Silje mußte einen Tag lang im Bett verbringen, denn ihr Bein wollte sie nicht tragen.
Yrja umsorgte sie. Eifrig erfüllte das junge Mädchen jeden noch so kleinen Wunsch Siljes, und sie holte die Malsachen, damit Silje ein kleines Aquarell vom Inneren des Zimmers anfertigen konnte.
»Liebe Yrja, warum steckst du dein Haar nicht mal ein bißchen anders auf?«
Yrja war glücklich, wenn jemand »liebe Yrja« zu ihr sagte. Das hörte sie nicht oft. Aber es stimmte, mit ihrem Haar war nicht viel los. Es war widerspenstig - wie eine zerzauste Distel. »Wie sollte ich das tun, Frau Silje?«
»Komm her, setzt dich auf mein Bett, dann will ich es dir gerne zeigen. Hast du einen Kamm?«
Yrja zog einen hervor. Er war sauber und ganz, und das freute Silje. Überhaupt war Yrja sehr gewissenhaft, was die Sauberkeit anging, und Silje gefiel ihre gleichmäßig muntere Stimmung und die Verläßlichkeit, die sie ausstrahlte. Silje. war viel ängstlicher, wenn Sunniva an der Reihe war, ihr zur Hand zu, gehen.
Während Silje Yrjas lange, hellblonde Haare auskämmte, plauderte sie drauflos:
»Du gehst nun seit vielen Jahren in diesem Haus ein und aus Yrja. Ich weiß noch gut, wie ihr vier, Sunniva und du und Tarald und die kleine Cecilie,
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