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Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht

Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht

Titel: Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margit Sandemo
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anhalten. Männer scheuten junge Frauen, die auf diese Weise mißgestaltet waren; sie hatten es für gewöhnlich schwer, Kinder auszutragen. Und »Kinder«, das hieß für die meisten »Söhne«. So war es üblich, daß ein Mann auf die Frage, wieviel Kinder er habe, antwortete: »Ich habe vier Kinder«, und vielleicht eine Weile später hinzufügte: »Und drei Töchter«.
    Yrjas Augen verdunkelten sich traurig, wenn sie über ihre Zukunft sprach. Sich der strengen, nörgelnden Eltern anzunehmen, war keine verlockende Aussicht.
    »Schau dich im Spiegel an«, sagte Silje ablenkend. »Jetzt setze ich die Zöpfe hoch auf deinen Kopf, und dann bekommst du Perlen ins Haar. Schau … ein Perlenband über der Stirn. Und ich habe noch ein wenig Puder für dein Gesicht, nimm es aus der Schublade dort! Ja, genau. Deine Nase strahlt wie ein Leuchtfeuer, das geht so nicht. Wo ist denn Sunniva heute?«
    »Ich … habe sie und Tarald heute gesehen, wie sie über das Grundstück gingen.«
    »Wohin?« sagte Silje schärfer, als sie eigentlich wollte. »Ich weiß nicht, Frau Silje. Sie gingen wohl einfach spazieren.«
    Mein Gott, ich hoffe nur, daß Tengel es nicht gesehen hat, dachte Silje. Ich muß mit einem der beiden reden. Laut sagte sie: »Nun? Wie findest du das Ergebnis?« Yrja betrachtete andächtig ihr Spiegelbild. »Wie fein ich aussehe!« flüsterte sie.
    »Du bist hübsch«, sagte Silje fest, obwohl das sicherlich etwas übertrieben war. Aber Yrja besaß bei all ihrer Armseligkeit tatsächlich eine undefinierbare Schönheit. »Das Perlenband kannst du behalten, sie sind sowieso nicht echt.« »Danke«, sagte Yrja mit Tränen in den Augen. »Dankeschön, liebe Frau Silje!«
    Im selben Moment kam Sunniva herein, zusammen mit Tarald.
    »Guten Tag, Großmutter«, sagte Sunniva mit glänzenden Augen. »Wie geht es dir?« »Danke, ganz gut. Wo bist du gewesen?«
    »Draußen, ich bin spazierengegangen«, sagte Sunniva verdächtig vage.
    Tarald begrüßte seine Großmutter. Yrja, die ihn mit ihrer neuen Frisur erwartungsvoll ansah, bedachte er nur mit einem gleichgültigen »Na, leistest du Großmutter Gesellschaft? Das ist schön.«
    Der Glanz in ihren Augen erlosch. Silje hätte die beiden jungen Leute packen und schütteln mögen, aber sie begriff, daß sie mit ihren Gedanken ganz woanders waren. Sunniva schien selbstsicherer zu sein als sonst. Sie lachte, und ihre schimmernden Augen blickten zärtlich zu Tarald. Andächtig lauschte sie seinen Worten, als er erzählte, was sie auf ihrem Spaziergang gesehen hatten.
    Endlich bemerkte sie Yrjas Veränderung.
    »Nanu, Yrja«, kicherte sie spöttisch. »Hast du dich herausgeputzt?«
    Das einfache Bauernmädchen suchte unglücklich Siljes Blick.
    »Ich habe ihr das Haar aufgesteckt«, sagte Silje ruhig. »Ich finde, sie sieht sehr süß aus.«
    Gott sei Dank, Tarald hatte immerhin soviel Herz, daß er merkte, wie verlegen Yrja geworden war. Sonst war er nicht gerade jemand, dem so etwas auffiel.
    »Das finde ich auch«, sagte er. »Es steht dir gut, Yrja.« Sunniva war verwirrt. Sie hatte Yrja nicht kränken wollen. »Das finde ich natürlich auch«, sagte sie rasch. »Ich habe dich nur nicht wiedererkannt. Komm, wir gehen in die Küche, ich habe Hunger.« »Darf ich gehen?« fragte Yrja Frau Silje.
    »Aber ja, geh nur, ich komme sehr gut zurecht.«
    »Ich komme gleich zurück. Kann ich Frau Silje etwas aus der Küche mitbringen?«
    »Ja«, sagte Silje zögernd. »Ein Stück Honigkuchen, bitte.« Das durfte sie sich nun wirklich gönnen. Sie war jetzt sechsundfünfzig, und in all den Jahren, die vergangen waren, seit Sol sie damit geneckt hatte, daß sie etwas fülliger geworden war, hatte sie tapfer auf ihre geliebten Honigkuchen verzichtet. Aber derlei bedeutete inzwischen so wenig. Jetzt wollte sie das Leben genießen, zum Trost für ihr schmerzendes Bein.
    Sie malte jetzt nicht mehr so viel. Eine Zeitlang hatte sie wieder zu weben begonnen, aber es war ihr zu anstrengend geworden. Nun malte sie nur hin und wieder ein Aquarell, so wie dieses. Es war, als ob alles, was sie sich vornahm, sich zu einem großen, unüberwindlichen Berg vor ihr auftürmte. Und die Kleider saßen so locker, daß sie sie bald enger machen mußte.
    Also konnte ein Stück Honigkuchen gewiß nicht schaden. Tengel war tagsüber immer sehr beschäftigt. Er unterrichtete den kleinen Tarjei, nahm ihn mit auf Krankenbesuch, und sie experimentierten mit den alten, geheimen Kräutern und Pulvern des Eisvolks.

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