Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
große und glückliche Stunde!
Die Anstrengungen hatten Tengel sehr mitgenommen, und erstaunlich genug hütete er einige Tage lang das Bett. Da ging es ihm richtig gut, fand er, so verwöhnt, wie er wurde. Warum war er nicht schon früher auf die Idee gekommen? Vom Bett aus hörte er die Geräusche von Äxten und Sägen in der Allee. Are fällte einen Baum, der plötzlich verdorrt und abgestorben war und der beim nächsten Sturm auf den Weg zu fallen drohte. Es war Charlottes Baum.
Aber Tengel mochte nicht an die Allee denken… Schließlich kehrten der Alltag und die Ruhe in das Kirchspiel zurück, und Tengel konnte zum aufgeschobenen Treffen mit den Kindern und Kindeskindern einladen.
Ach, wie sie Charlotte vermißten! Jacob natürlich auch, aber er hatte immer etwas zurückgestanden hinter der dynamischen Baronin von Meiden. Mit ihr war eine Epoche zu Ende gegangen, so schien es allen, und niemand brachte es über sich, von ihr zu sprechen. Die Wunde war zu frisch. Die tiefe Wunde der Trauer.
Yrja war auch dabei, und alle fanden es ganz selbstverständlich. Sie war ein Teil ihres Lebens geworden. Und Silje mochte nicht mehr auf sie verzichten. Sie war ihr eine unschätzbare Hilfe geworden, wußte immer, was Silje dachte oder wünschte.
Es war ein Brief von Cecilie gekommen. Liv las ihn in Anwesenheit aller vor. Der Brief hatte eine lange Zeit gebraucht, um anzukommen, deshalb wußte Cecilie nichts von der Tragödie daheim.
Liebe Mutter, lieber Vater!
las Liv.
Ach, wie weit fort von Grästensholm ich jetzt bin! Wie unsicher und verwirrt ich anfangs war. Aber Ihr kennt ja eure verrückte Tochter, sie gibt niemals auf. Nach außen hin war ich ziemlich keck. Und die Reise verlief eigentlich wunderbar, meine Reisebegleitung hat für alles gesorgt und sich um mich gekümmert. Und danke für die Medizin gegen Seekrankheit, Großvater, sie hat ausgezeichnet geholfen. Ich habe sie großzügig verteilt und mir allseitige Wertschätzung erworben, besonders bei der jungen Gräfin Strahlenhelm, die so entzückend und bezaubernd liebenswürdig zu mir ist. Berichtet Großmutter Charlotte davon! Es wird sie gewiß sehr stolz machen!
Es entstand eine kleine, wehmütige Pause nach diesen Worten. Liv hob diskret ihr Taschentuch an die Nase.
Gestern nahm Graf Strahlenhelm mich mit an den Hof und stellte mich vor. Seine Majestät habe ich nicht gesehen, aber mehr als genug von Frau Kirsten. Ich glaube nicht, daß ich sie mag. Sie blickte geradewegs durch mich hindurch, ah wäre ich Luft, und sagte: »Baronesse von Meiden? Will sie behaupten, sie sei von Adel? Glaubt sie, sie sei jemand?« Sie wollte auch nichts bezahlen. Beinahe so, als wäre es eine große Ehre, als ob ich statt dessen etwas bezahlen müßte. Aber ich bekomme meinen Lohn trotzdem, hinter ihrem Rücken. Sie soll ungemein geizig sein, heißt es. Sie ist schon wieder guter Hoffnung. Ich habe bisher erst ihre beiden kleinen Töchter kennengelernt, die eine heißt Anna, glaube ich. Um sie soll ich mich kümmern. Die armen Kinder!
Der Brief schloß mit farbenfrohen Beschreibungen, wie üppig alles im Schloß gewesen war.
Als alle ihre Kommentare zu dem Brief abgegeben hatten, wie schön und wunderbar es für Cecilie doch sei, ergriff Tengel das Wort.
»Ihr habt alle die Geschichte vom Eisvolk gehört, mehr oder weniger ausführlich, also brauche ich an dieser Stelle nicht näher darauf einzugehen …«
»Gut«, sagte Trond. »Die kennen wir nämlich auswendig.« Tengel wandte sich dem Jungen zu. Seine Augen waren schmal. »Sicher. Aber plötzlich ist sie aktuell geworden. Es ist notwendig, darüber zu sprechen.« Trond verstummte beschämt.
»Also. Wieder einmal geht es um Tengel den Bösen, der sich vor vierhundert Jahren entschloß, sein Leben dem Satan zu weihen. Wie ihr wißt, glaube ich nicht an einen Satan. Es gibt ihn nicht, für unsere Sünden müssen wir selber geradestehen, anstatt sie ihm anzulasten. Aber der erste Tengel war ein besonders böser Mann, und seine Zauberkünste waren grenzenlos. Das können wir nicht leugnen. Ihr wißt, daß dieses Böse sich vererbt. Ihr seid davon verschont geblieben, und darüber bin ich sehr glücklich. Ihr wißt auch, daß er den Kessel mit dem Absud vergraben hat, der notwendig ist, um Satan heraufzubeschwören. Und solange dieser Kessel verborgen im Schoß der Erde liegt, lastet der Fluch auf Tengels Nachkommen. Denn dieser erste Tengel wollte, daß einer von uns böse genug sein sollte, um Satan zu dienen. Wir
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