Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
Eher schon ein Tengel der Böse, dachte Liv oft ketzerisch. Aber er gehörte zu ihnen, ein kleines Kind, das nicht darum gebeten hatte, geboren zu werden, und das sie brauchte. Tief in ihren Herzen fühlten sie Zärtlichkeit für ihn und Kummer über sein bitteres Schicksal.
9. KAPITEL
Und wieder einmal sollte Hochzeit auf Grästensholm gefeiert werden.
Liv lachte etwas hilflos. »Darf ich vorschlagen, daß wir es schlicht halten, Yrja? Denn einmal hatten wir eine rauschende Hochzeitsfeier hier, das war meine erste, die mit Laurents Berenius. Und eine unglücklichere Ehe hat man wohl nie gesehen! Dann kam meine zweite Hochzeit, eine viel kleinere und ruhigere, die mit Dag, und du weißt, wie glücklich wir zusammen sind. Die Hochzeit von Tarald und Sunniva war ziemlich groß - und diese Ehe endete in einer Katastrophe. Also sollten wir wohl besser ein stilles und bescheidenes Fest ausrichten, findest du nicht auch?«
Yrja lächelte. »Doch, das ist sicher am besten. Aber ich würde gerne meinen Vater dazubitten …«
»Aber mein gutes Kind, alle deine Lieben sollen natürlich kommen! Und unsere von Lindenallee auch. Aber keine Außenstehenden diesmal.«
Trotzdem verspürte sie eine leichte Panik, als sie und Yrja zusammen eine Gästeliste aufstellten mit allen, die auf Eikeby wohnten, und den Geschwistern aus der näheren Umgebung. Mit Geschwistern, Onkel, Tanten, Nichten, Neffen, Cousins und Cousinen und mit den Bewohnern von Lindenallee kamen sie auf fünfundachtzig Hochzeitsgäste. Und das war nicht schlecht für eine »bescheidene« Hochzeit. Als sie die letzten Gäste der Großfamilie von Eikeby nach dem Fest endlich verabschiedet hatten, waren sie allesamt vollkommen erschöpft, die Herrschaft genauso wie das Gesinde. Und als sie großreinemachen wollten, fanden sie tatsächlich noch eine von Yrjas Cousinen unter dem Tisch. Aber dann waren wirklich alle weg.
Und Yrja und Tarald waren verheiratet. Der Pastor hatte sie getraut und eine kleine Rede gehalten, wie schön es doch war, daß seine Freunde zueinander gefunden hatten. Die junge, puppenhaft niedliche Pastorin saß da und strich über die gewebten Decken an den Wänden und auf den Bänken und lächelte milde und etwas süßsäuerlich - und auf einmal sahen Tarald und Yrja sie in einem ganz neuen Licht. Jetzt begannen sie zu ahnen, warum Herr Martinius so bitter war. Und später am Abend gingen ihnen die Augen noch mehr auf. Pastorin Julie saß doch tatsächlich da und sprach herablassend mit Liv. Keine sollte sich einbilden, sie stünde über der Pastorenfrau dieses Kirchspiels!
In Livs Augen funkelte es diabolisch, als sie ihr Glas zu Ehren von Yrja hob. »Prost, und willkommen, liebe Baronin!«
Sie hörten deutlich das höhnische Schnauben der Pastorin. Dann war die Hochzeit vorüber. Als alle sich zurückzogen, blieb Tarald vor Yrjas Tür stehen.
»Ich danke dir für den heutigen Tag, liebe Freundin«, sagte er leise. »Du hast deine Verpflichtungen auf die bestmögliche Weise erfüllt. Nun werde ich meine erfüllen.« Yrja zuckte zusammen, aber er ergriff nur ihre Hände. »Gute Nacht, Yrja! Eine bessere Mutter hätte Kolgrim nicht bekommen können!«
Dann zog er sich zurück. Yrja ging in ihr Zimmer, wo die Tür zu Kolgrims Kinderzimmer offenstand. Sie lag lange wach und starrte in die Dunkelheit, bevor sie gegen Morgen einschlief.
Die Ehe wurde glücklich, trotz der ungleichen Voraussetzungen. Tarald nahm mehr Rücksicht auf sie als vorher, und alle vier saßen sie oftmals bis spät in die dunklen Winterabende hinein zusammen, während Kolgrim schlief, und unterhielten sich oder spielten irgendein Spiel. Sie waren gern zusammen, die vier, und niemand behandelte Yrja als die Analphabetin niedriger Herkunft, die sie war. Für sie war sie ihnen in allem ebenbürtig - eine kluge, bescheidene und warmherzige Frau.
Eines Tages Mitte März sprach Tarald mit Yrja oben in Kolgrims Zimmer. Er stand am Fenster und sah hinaus. »Hast du inzwischen nochmal an ein zweites Kind gedacht?« Yrja zuckte so heftig zusammen, daß Kolgrim sich erschreckte. »Ja«, sagte sie leise. »Glaubst du, daß du schon bereit dafür bist?«
Sie zögerte ein wenig. »Für die lange Schwangerschaft? Die Geburt? Ja. Wenn du es willst?«
Ohne sich umzudrehen, sagte er: »Paßt es dir, wenn ich heute Abend zu dir komme?«
Ach, mein armes Herz, schlag doch nicht so heftig! Du zerreißt mich in Stücke! »Ja. Es paßt mir gut.«
Im letzten Moment gelang es ihr, sich ein
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