Die Saga vom Eisvolk 05 - Todsünde
geworden sind, die Möglichkeit haben, ihre Wesensart wieder zu ändern.«
»Das glaube ich kaum. Wäre das Ganze so einfach, dann wäre viel gewonnen. Einiges von dem, was er sagt, ist vielleicht richtig, aber das Problem ist um einiges komplizierter. Ich kenne einige Männer, sie sowohl mit Frauen als auch mit Männern verkehren. Der eine davon ist verheiratet und hat Kinder, und seine heimliche Neigung für Männer ist seiner Frau und anderen Personen bei Hofe vollkommen unbekannt.«
Cecilie war natürlich neugierig, wer das wohl sein konnte, wagte jedoch nicht zu fragen. Sie kannte alle bei Hofe sehr gut. »Und wie steht es mit dir?« fragte sie leise.
»Ich kann keine Frauen lieben. Ganz und gar nicht!«
»Hast du es einmal versucht?« Er schwieg.
»Erzähl«, forderte sie ihn sanft auf, als wolle sie Geduld und Verständnis signalisieren.
Da er nicht reagierte, fragte sie: »Verachtest du dich selbst? Weil es unnatürlich ist, es zu tun.«
»Nein, so ist es nicht«, sagte er ungestüm. »Für mich ist es eine natürliche Sache, Männer zu mögen. Es ist die Reaktion all der anderen, die mir Schamgefühl einflößt.« »Verständlich. Darf ich offen sprechen?«
»Begehrst du sie? Die du triffst, oder etwas in der Art?« »Nein, Cecilie, das stimmt ganz und gar nicht. Was hast du für Gefühle, wenn du verliebt bist? Begehrst du dann einen Mann sofort?«
»Nein. Ich kann zu jemandem Zuneigung fassen. Verbundenheit empfinden.«
Er nickte. »Genau! Es entsteht allmählich eine Zuneigung zwischen mir und dem anderen Mann. Und dann, behutsam, unendlich behutsam, wird man durch lang anhaltende Freundschaft und Kameradschaft angezogen, bis man …zusammen leben will.«
»Aber das ist ja genauso wie zwischen Mann und Frau!« entfuhr es ihr.
»Selbstverständlich! Das ist es ja, was andere Menschen nicht sehen wollen. Die Liebe, die innige Verbundenheit. Das intuitive Verständnis zwischen zwei Menschen.« »Wann …hast du festgestellt, daß du so bist?« Es war etwas armselig, ihn nur mit »so« zu titulieren, aber sie fand kein anderes Wort. Cecilie stellte die Frage in der geringen Hoffnung, daß Tarjei dennoch recht hatte. Daß Alexander von außen beeinflußt worden war, irgendwann früher einmal in seinem Leben.
Ach, es war eine eitle Hoffnung! Es bewies, daß sie noch immer unrealistische Träume im Kopf gehabt hatte, als sie die Ehe eingegangen war.
Es dauerte sehr lange, bis er seine Stimme vernehmen ließ: »Ich kann mich in dieser Hinsicht nicht an meine Kindheit erinnern«, begann er widerwillig und setzte sich, eine Unmenge Kissen in den Rücken stopfend, auf. »Wie sehr ich es versuche, ich kann mich nicht erinnern. Wir wohnten hier, wir waren viele Geschwister, aber alle starben 1601 an der Pest, außer meiner Schwester Ursula und mir.
»Du mußt damals noch sehr klein gewesen sein.« Er lächelte. »Ja. Ich war sechs Jahre alt.«
Jetzt wußte sie es! Dann war er nun also 31.
»Deine armen Eltern«, murmelte sie. »Fast alle Kinder zu verlieren.«
»Ja. Zehn Kinder haben sie auf einen Schlag verloren. Danach war meine Mutter recht hysterisch mit Ursula und mir, weil ich der einzige war, der den Familiennamen weitergeben konnte. Wir durften nirgends hingehen, nichts machen! Alles war gefährlich.«
Cecilie versuchte dort, eine Ursache für seine Neigung zu finden, konnte es sich jedoch nicht so recht vorstellen. Es gab viele Jungen, die eine über die Maßen behütende Mutter hatten und ganz normale Männer geworden sind. »Und dein Vater?«
Alexander zog die Augenbrauen hoch. »Ich habe nur eine schwache Erinnerung an ihn. Ein großer, schwerer Mann, der …Nein, ich weiß nicht. Meine Mutter weinte viel, als er noch man Leben war. Ich entsinne mich, daß er viele Gemälde in seinem Zimmer hatte. Ich mochte dieses Zimmer nicht betreten.« »Was waren das für Gemälde?« Alexander verzog das Gesicht und zuckte die Schultern. Entweder erinnerte er sich nicht oder er wollte keine Antwort geben. »Dann starb er also früh?« »Ja. Ein Jahr nach meinen Geschwistern.« »Und dann?«
»Tja, dann geschah schlichtweg nichts. Bis ich langsam ins Jünglingsalter kam.«
»Warst du damals an Jungen oder an Mädchen interessiert?«
»Gerade daran kann ich mich nicht erinnern. Meine Mutter wollte, daß ich die Laufbahn eines Soldaten einschlage, Offizier werde. Diese berufliche Laufbahn pflegt man in meinen Kreisen zu wählen. Da hörte ich meine Kameraden über Mädchen und die Abenteuer
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